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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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geschlachteten Tiere war – eine in weiten Teilen Afrikas gängige Praxis. Dennoch erweckte sie Emmets Abscheu.
    Er versuchte, den Anblick der von Fliegen belagerten Schädel und den Blutgeruch zu ignorieren, schob die Perlenschnüre vor dem Eingang beiseite und trat ein. Drinnen war es erstaunlich kühl. Hinter der Fleischtheke stand ein Junge, kaum älter als zehn oder zwölf.
    »Guten Tag«, sagte Emmet. »Verstehst du meine Sprache?«
    Der Junge reagierte nicht.
    Emmet deutete auf seinen Mund, dann auf sein Ohr und wiederholte: »Kannst du mich verstehen?«
    Der Junge schüttelte den Kopf.
    Noch während Emmet überlegte, wie es nun weitergehen solle, kam der Junge hinter der Theke hervor, nahm ihn bei der Hand und führte ihn nach draußen. Sie umrundeten das Haus und traten durch den Hintereingang, während der Junge etwas in einer Sprache rief, die Emmet nie zuvor gehört hatte.
    Ein dicker, mit zerschlissenem T-Shirt und abgewetzter Blue-jeans bekleideter Mann trat aus einem Zimmer. Sein schwarzes Gesicht wirkte wie eine Maske aus Ebenholz. Seine Augen schienen im Halbdunkel des Flurs beinahe zu leuchten.
    Er wechselte ein paar Worte mit dem Jungen, der daraufhin wieder nach draußen verschwand.
    Emmet versuchte erneut sein Glück. »Verstehen Sie mich?«
    Der Mann sah ihn eine Weile unbewegt an. Dann nickte er bedächtig und fragte in sonorem Bariton: »Was wollen Sie?«
    »Ich suche jemanden, der mir ein paar Fragen beantworten kann.«
    »Sind Sie wegen der Verschwundenen hier?«
    »Ja.«
    »Sind Sie Polizist?«
    »Eher eine Art Detektiv.«
    Die Augenbrauen des Mannes hoben sich. Er wirkte plötzlich freundlicher. »Ein Detektiv? Das ist gut. Die Polizei hier ist unfähig. Am besten, wir unterhalten uns in der Küche. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
    Emmet lehnte ab, weil ihm der Sinn eher nach einem Kübel Eiswasser stand. Dennoch bekam er eine dampfende Tasse vorgesetzt.
    »Trinken Sie«, forderte der Mann ihn auf. »Das wird Ihnen gut tun. Kaffee trinken ist eine heilige Tradition der Hadendowa. Es gibt ein Sprichwort bei uns: Ein Hadendowa würde lieber sterben, als auf seinen Kaffee zu verzichten.« Er lachte und nippte an der Tasse.
    Emmet begriff, dass der Kaffee ein Zeichen der Gastfreundschaft war, und nahm ebenfalls einen Schluck. Als er die Tasse wieder absetzte, sagte er: »Ich dachte, in diesem Dorf leben die Beja.« So hatte es zumindest in dem Zeitungsartikel gestanden, den die Rezeptionistin im Hotel übersetzt hatte.
    »Das stimmt schon«, sagte der Schwarze. »Wir sind Beja, wie die meisten Menschen in dieser Gegend. Aber die Beja wiederum sind in fünf Gruppen unterteilt. Eine davon nennt sich Hadendowa. Woher kommen Sie?«
    »Aus Schottland.«
    »Das liegt bei England, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Der Schwarze führte erneut die Tasse zum Mund. Bevor er trank, sagte er: »Ein Detektiv aus Schottland interessiert sich für die verschwundenen Einwohner eines kleinen sudanesischen Dorfes? Das ist erstaunlich.«
    »Um ehrlich zu sein, ich interessiere mich nicht nur für die Leute aus Wad Hashabi, sondern auch für einen Freund von mir. Vielleicht haben Sie ihn schon einmal hier gesehen.« Emmet zog das Foto von Anthony Nangala aus der Hemdtasche.
    Der Metzger nickte. »Er war hier. Vor vier oder fünf Wochen, würde ich sagen. Er wollte ebenfalls etwas über die Vorkommnisse in unserem Dorf wissen.«
    Also lag ich mit meiner Vermutung richtig, dachte Emmet. Anthony war hier irgendetwas auf der Spur. »Haben Sie damals mit ihm gesprochen?«, fragte er.
    »Ja. Ich bin der Einzige im Dorf, der Englisch spricht. Aber ich habe auch für ihn übersetzt.«
    »Mit wem hat er noch geredet?«
    »Mit N’tabo. Das ist unser Dorfältester. Er hat gesehen, was passiert ist.«
    »Sie meinen, er weiß, wer die Bewohner entführt hat?«
    Auf dem Gesicht des Metzgers spiegelte sich plötzlich Verwirrung, ja Angst wider. »Das war keine Entführung!«, sagte er bestimmt. Einen Moment lang glaubte Emmet, der Mann wolle ihm etwas anvertrauen, aber dann schien er sich zu besinnen und sagte: »Ich bringe Sie jetzt besser zu N’tabo.«
    Der Dorfälteste bewohnte eine der traditionellen Lehmhütten, die sich um den runden, festgetrampelten Platz in der Dorfmitte reihten. Wegen der winzigen Fensterluken drang so wenig Sonnenlicht ins Innere, dass die Hütte sogar noch düsterer wirkte als die große Halle von Leighley Castle. In der Luft lag der würzige Geruch von Tabak.
    Der Metzger stellte Emmet in der

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