Der zweite Gral
konnte.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte er.
»Aus welcher Zeitung ist das?«, fragte sie.
»Keine Ahnung. Ich habe den Ausschnitt so gefunden.«
»An Ihrer Stelle würde ich ihn nicht so offen herumzeigen, sonst könnten Sie Ärger bekommen.«
»Ärger? Wie meinen Sie das?«
Sie sah sich in der Lobby um, als wolle sie sichergehen, keine unliebsamen Zuhörer zu haben. Dann beugte sie sich über den Tresen vor und raunte: »Der Artikel stammt nicht aus einer der großen Zeitungen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Alle großen Blätter werden staatlich kontrolliert. Inoffiziell natürlich, aber das ändert nichts an der Tatsache. Ein Artikel, der so offen über Sklaverei in unserem Land berichtet, würde niemals toleriert. Das muss in einem unabhängigen kleinen Provinzblatt erschienen sein. Oder in einer eritreischen Zeitung – schließlich liegt dieses Beja-Dorf nahe der Grenze. Auf jeden Fall könnten Sie in Schwierigkeiten geraten, wenn Sie diesen Artikel den falschen Leuten unter die Nase halten.«
Emmet nickte und dankte ihr für die Warnung. Zugleich fragte er sich, ob Anthony Nangala genau diesen Fehler begangen hatte, nämlich den Artikel den falschen Leuten zu zeigen. Er ging zurück in sein Zimmer, wo er den Zeitungsausschnitt als eines von vielen Dokumenten zum Thema Sklaverei auf den großen Papierstapel zurücklegte.
Plötzlich ging ihm auf, dass an dem Zeitungsbericht etwas nicht stimmte: Weshalb sollten ausgerechnet Greise versklavt werden? Aus Anthony Nangalas Unterlagen wusste Emmet, dass Sklavenkarawanen oft hunderte von Kilometern weit von Markt zu Markt getrieben wurden. Welcher Greis würde einen solchen Gewaltmarsch überstehen? Und wie viel Geld würde er dann noch einbringen? Nein, das ergab keinen Sinn.
Noch etwas fiel Emmet auf. Zunächst war es nur ein verschwommener Gedanke, den er nicht greifen konnte, dann aber fiel es ihm ein: Alle anderen Unterlagen in der Aktenmappe waren vor diesem Artikel zusammengetragen worden. Um sicher zu gehen, blätterte er den Stapel noch einmal durch, wobei er besonderes Augenmerk auf die Datumsangaben richtete. Sein Verdacht bestätigte sich. Der Artikel über dasBeja-Dorf Wad Hashabi war das letzte Dokument, mit dem Anthony Nangala sich beschäftigt hatte.
Trotz der Wärme im Zimmer fühlten Emmets Hände sich eiskalt an. Ist das der entscheidende Hinweis?, fragte er sich. Der Hinweis, der mich zu Anthonys Kidnappern fuhrt?
24.
D as Autokennzeichen, das Lara von Sherif Kaplan erhalten hatte, entpuppte sich als zähe Spur. Weder bei der Polizei noch bei den dafür zuständigen Ämtern half man ihr weiter. Angeblich waren sie nicht befugt, Informationen an Dritte weiterzugeben. Nur eines erfuhr Lara: Das Kennzeichen stammte aus Teheran – was die Suche nicht gerade einfacher machte.
Lara blieb nichts anderes übrig, als sämtliche Autohäuser und Mietwagenfirmen in Teheran anzurufen und auf ihr Glück und ihre Überzeugungskraft zu hoffen.
Nach zwei Stunden ununterbrochener Telefonate hatte sie eine freundliche Dame von Hertz am Apparat, die ihr bereitwillig Auskunft gab: Der Ford mit der angegebenen Nummer sei in der Filiale in Isfahan angemietet worden.
Endlich ein Fortschritt.
Lara wusste, wo sich die Hertz-Niederlassung vor Ort befand, und machte sich auf den Weg dorthin. Dichter Berufsverkehr verstopfte die Straßen, Smogdämpfe lösten den Morgennebel ab. Dennoch hatte Lara gute Laune.
Der Hertz-Vertreter stellte sich als Pierre-Louis Hosseini vor. Gleich zu Beginn des Gesprächs erwähnte er, dass seine Mutter Französin sei. Vermutlich tat er das bei allen potenziellen Kunden, um eine Atmosphäre der Vertraulichkeit zu schaffen und das Eis zu brechen. Lara erzählte ihm, weshalb sie hergekommen war.
Hosseini nickte. »Ich erinnere mich gut an diesen Japaner«, sagte er. Seine Stimme klang rau, aber kultiviert.
»Können Sie mir seinen Namen verraten?« Lara war gespannt, ob er den Ford als James Akanawe angemietet hatte.
»Weshalb ist das so wichtig für Sie?«
»Er stand mit seinem Wagen an einer Ampel neben mir.« Sie hatte sich diese Geschichte bereits zurechtgelegt. »Wir blickten uns an und ... wie soll ich es sagen? Es war um mich geschehen. Ich konnte mir gerade noch sein Kennzeichen einprägen, dann war er verschwunden. Seitdem versuche ich, ihn ausfindig zu machen. Es war Liebe auf den ersten Blick, verstehen Sie?«
Hosseini stieß einen Seufzer aus. Dann gab er sich einen Ruck und schob seine Bedenken beiseite. »Ich
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