Der zweite Gral
Acht zu lassen, hatte Lara sich von der Touristeninformation einen Hotelführer besorgt. Es gab gleich zwei Plaza-Hotels in der Stadt, doch in keinem von beiden war in den letzten Wochen ein japanischer Gast registriert worden.
Obwohl Lara sich keine allzu großen Hoffnungen gemacht hatte, war sie enttäuscht. Das Autokennzeichen hatte sich als Sackgasse erwiesen. Dass der Japaner perfekt Französisch sprach, brachte sie im Moment auch nicht weiter.
Sie ging ins Bad und wusch sich die Hitze des Tages aus dem Gesicht. Danach fühlte sie sich besser. Während sie in der Küche ein belegtes Brot aß, dachte sie über ihren nächsten Schritt nach. Ihr fiel nur noch eine Möglichkeit ein, dem Japaner auf die Spur zu kommen.
Eine halbe Stunde später stand sie zum zweiten Mal an diesem Tag vor Sherif Kaplans Haus. Als der Mann öffnete, standen seine Augen auf Halbmast, und sein Gesicht sah zerknautscht aus. Offenbar hatte er gerade ein Nickerchen gemacht.
»Hat Ihnen das Kennzeichen nicht weitergeholfen?«, murmelte er.
Lara schüttelte den Kopf.
Kaplan strich sich über den Bart. »Wir haben heute Morgen einen ehrlichen Handel abgeschlossen«, brummte er. »Glauben Sie ja nicht, dass Sie von mir Ihr Geld zurückbekommen.«
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Lara. »Ich will mein Geld nicht zurückhaben, sondern noch etwas davon loswerden.«
Augenblicklich verflog die Müdigkeit aus Sherif Kaplans Gesicht. Mit glänzenden Augen und breitem Grinsen sagte er: »Ich bin sicher, wir werden uns einig.«
Lara brauchte nicht sehr lange, um Kaplan zu überreden, sie in die Wohnung des Japaners zu lassen. Zuerst gab er sich zwar zögerlich, weil der Mietvertrag noch gültig war und er daher kein Recht hatte, ihr die Wohnung zu zeigen, doch Lara begriff, dass er seine Bedenken nur vorschob, um den Preis in die Höhe zu treiben. Am Ende bezahlte sie ihm umgerechnet dreißig englische Pfund.
Die Wohnung war ein unwirtliches Loch. Es roch muffig, als wäre seit Monaten nicht mehr gelüftet worden. Durch die zugezogenen Vorhänge drang kaum Sonnenlicht.
Lara nahm alle Räume gründlich unter die Lupe, doch es gab nur wenige Anzeichen dafür, dass in der Wohnung noch bis vor wenigen Tagen jemand gelebt hatte. Die Inneneinrichtung gehörte laut Sherif Kaplan zur Wohnung. Persönliche Gegenstände wie Bücher oder Bilder fehlten völlig.
Gleichwohl hatte der Japaner Spuren hinterlassen: eine angebrochene Rolle Klopapier auf der Toilette, einige Vorräte und Wasserflaschen im Küchenschrank, ein halb voller Abfalleimer, über dem eine Wolke bunt schillernder Fliegen summte.
Eine halbe Stunde suchte Lara nach weiteren Hinweisen – vergeblich. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als den Abfalleimer einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.
Zum Glück musste sie nicht lange darin herumstöbern, denn ganz obenauf lag eine Konservendose, die ihre Aufmerksamkeit erregte. Im ersten Moment dachte sie, die Dose habe als Aschenbecher gedient; dann aber bemerkte sie, dass nicht Zigarettenstummel darin lagen, sondern ein verkohltes Stück Papier. Sie zog es vorsichtig heraus und entfaltete es über der Spüle. Asche rieselte ihr durch die Finger. Das Papier löste sich in Einzelteile auf.
Sie wollte schon aufgeben, als sie bemerkte, dass ein Stück des Zettels nicht völlig verbrannt war. Behutsam griff sie danach. Das Papier hatte sich in den Flammen braun verfärbt und war noch dazu von grünem Schimmel umrandet. Dennoch erkannte sie Schriftzeichen darauf. Sie hielt das Papier gegen das Licht.
»Eine Zahlenreihe«, murmelte sie. »Anfang und Ende sind verkohlt, aber das Mittelstück kann man gut erkennen ... 334724. Haben Sie eine Ahnung, was das sein könnte?«
Kaplan zuckte mit den Schultern, grinste dann und meinte: »Ich würde sagen, ein verkohltes Stück Papier mit ein paar Zahlen drauf.«
27.
A ls Emmet Walsh nach Port Sudan zurückkehrte, ging bereits die Sonne unter. Er parkte seinen Mietwagen in einer Seitenstraße und machte einen Abstecher zum Strand, um sich nach der langen Fahrt die Beine zu vertreten. Vom Meer her wehte ihm eine sanfte Brise entgegen. Endlich ein wenig Abkühlung nach einem langen, heißen Tag.
Er fühlte sich nicht nur verschwitzt, sondern auch hungrig. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen. Gleichzeitig bereitete ihm der starke Kaffee der Hadendowa Magen- und Herzprobleme. In seinem Blut musste noch immer so viel Koffein sein, dass man damit einen Bären aus dem Winterschlaf
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