Der zweite Gral
hätte wecken können.
Er beschloss, in seinem Zimmer zu duschen und sich anschließend ein ausgiebiges Dinner im Hotelrestaurant zu gönnen. Bei dem Gedanken daran lief ihm das Wasser im Munde zusammen.
An der Hotelrezeption stand an diesem Abend ein junger Bursche. Er gab Emmet den Zimmerschlüssel – und eine Nachricht von Lara Mosehni: Ruf mich bitte umgehend zurück. Es gibt interessante Neuigkeiten. Außerdem standen dort noch ihre Telefonnummer und ihr Name. Mehr nicht.
Da sein Magen inzwischen knurrte, holte er sich im Restaurant ein Sandwich, das er auf dem Weg in sein Zimmer verspeiste. Er fühlte sich zwar kaum gesättigt, aber zumindest würde das Sandwich reichen, bis er das Telefonat mit Lara geführt hatte.
Er setzte sich aufs Bett, griff nach dem Telefonhörer und wählte.
»Na endlich!«, meldete sich Lara. »Ich hatte schon Angst, dir wäre etwas zugestoßen.«
Emmet berichtete ihr von seinem Besuch in Wad Hashabi, dem Dorf der Alten. »Angeblich geht dort ein schwarzer Dämon um«, sagte er. »Der Jinn. Er bestraft jeden, der sich von der Tradition abwendet. Er kommt nachts, holt sich seine Opfer und saugt ihnen das Blut aus.«
»Das ist ja abscheulich ...«
»Ein Aberglaube, nichts weiter. Interessanterweise hat unser Jinn es lediglich auf ganz bestimmte Personengruppen abgesehen. Ich habe mir die Namen und Daten aller Vermissten geben lassen. Es sind ausschließlich Kinder, schwangere Frauen und Greise. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas mit der Abkehr von traditionellen Werten zu tun hat. Es muss etwas anderes dahinter stecken, auch wenn ich noch keinen Sinn darin erkenne.« Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr: »Bislang hat dieser Dämon keine brauchbaren Spuren hinterlassen. Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht, wie ich ihm auf die Schliche kommen soll. Aber ich glaube, Anthony hat es irgendwie geschafft. Er hat herausgefunden, wie die Menschen aus dem Dorf verschwunden sind, und wurde dadurch für irgendjemanden zur Bedrohung. Deshalb hat man ihn aus dem Weg geräumt.« Er seufzte. »Jetzt aber zu dir. In deiner Nachricht stand, dass es Neuigkeiten gibt. Ich bin gespannt!«
Lara erzählte alles, was sie in den letzten zwei Tagen über den Japaner herausgefunden hatte. Vor allem berichtete sie von der Durchsuchung seiner Wohnung und dem Stück Papier, das sie in der Konservendose im Abfalleimer gefunden hatte.
»Es steht eine Nummer darauf«, sagte sie und nannte ihm die Zahlenfolge. »Allerdings fehlen Anfang und Ende.«
»Was soll das sein?«, fragte Emmet. »Ein Zahlencode?«
»Das dachte ich anfangs auch. Aber dann fiel mir ein, wasder Vertreter bei Hertz erwähnte – dass der Japaner Französisch sprach.«
»Eine Telefonnummer!«
»Genau. Wenn man sich vor der Zahlenkolonne eine Doppelnull denkt, bekommt man die internationale Vorwahl für Frankreich – 0033. Das heißt, die eigentliche Telefonnummer beginnt mit 4724.«
Emmet musste nicht lange nachdenken. »Interpol«, stellte er fest. Die vollständige Nummer lautete 0033/472447000. Es gehörte zum Repertoire jedes Ordensmitglieds, solche Dinge zu wissen.
»Das glaube ich auch«, sagte Lara am anderen Ende der Leitung.
Emmet fuhr sich mit der Hand durchs weiße Haar und setzte sich aufs Bett. Gewiss gab es Tausende von Telefonnummern in Frankreich, die mit der Ziffernfolge 4724 begannen. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass er Recht hatte.
Ganz abwegig war der Gedanke nicht. Im Streben nach Gerechtigkeit bewegten die Mitglieder des Ordens sich oft am Rande der Legalität, denn sie scheuten sich nicht, dieselben unlauteren Mittel einzusetzen wie diejenigen, die sie bekämpften. In Emmets Augen war dies eine bloße Notwendigkeit. Ohne ein gewisses Maß an Gewaltanwendung ließen viele Dinge sich leider nicht ins Lot bringen. Doch Selbstjustiz verstieß nun einmal gegen die meisten Gesetze dieses Planeten. Es wäre also kein Wunder, wenn Interpol sich auf die Fährte der Gemeinschaft gesetzt hätte. Die Spuren ihrer Arbeit – die Medaillons mit Rose und Schwert – waren ja nicht allzu schwer zu verfolgen. Vor einem Jahr hatte der Orden sie eingeführt, als Warnung für all jene, die auf der falschen Seite der Gerechtigkeit standen.
Damals, überlegte Emmet, hielten wir es für eine gute Idee. Vielleicht haben wir uns getäuscht ...
»Es gibt allerdings eine Sache, die dagegen spricht, dass derJapaner Interpol-Beamter ist«, sagte Lara Mosehni gerade am anderen Ende der Leitung.
Jetzt fiel es auch Emmet
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