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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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die Verfolgung auf, hielt aber schon nach wenigen Schritten inne. Vor ihm, auf dem festgetrampelten Lehmboden, lag ein Gewehr. Und nur zwei Meter daneben, im Schatten eines knorrigen alten Baums, erkannte er noch einen Körper.
    Seine Vorahnung wurde zur Gewissheit, als er sich hinkniete und den Körper genauer betrachtete. Es war Nelson. Er lag auf dem Bauch, die Hände dicht am Körper, den Kopf extrem nach hinten verdreht. Die Kidnapper hatten ihm das Genick gebrochen.
    Der bizarre Anblick des Toten ließ Emmet schaudern. Der Gedanke, dass Nelsons Sohn von nun an vaterlos war, versetzte ihm einen Stich. Seit er dem Rosenschwert-Orden beigetreten war, hatte er schon viel Leid und Schrecken miterlebt, doch er würde sich nie daran gewöhnen.
    Rasch schloss er dem Toten die starr ins Leere blickenden Augen und schwor sich, die Mörder und Entführer nicht ungeschoren davonkommen zu lassen. Er wollte sich gerade wieder erheben, als der grelle Strahl einer Taschenlampe sich auf ihn richtete. Im selben Moment begann jemand wie am Spieß zu schreien.
    Sofort kamen die Menschen aus ihren Hütten, redeten aufgeregt miteinander und gestikulierten wild. Sie strömten aus allen Richtungen herbei – zu dem jungen Mädchen, das die Taschenlampe hielt und noch immer schrie. Die Dorfbewohner redeten auf sie ein, alle gleichzeitig, wie es schien. Das Mädchen kreischte und wimmerte und deutete dabei auf Emmet und den Toten.
    Emmet begriff, dass er für das Mädchen und all die anderen wie ein Mörder erscheinen musste, der sich über sein Opfer gebeugt hatte. Er wollte etwas sagen, wollte erklären, weshalb er mitten in der Nacht neben Nelson kniete, doch ihm fiel ein, dass der Metzger der Einzige im Dorf gewesen war, der Englisch sprach. Niemand würde ihn verstehen.
    Emmet sah in die wütenden Gesichter. Die Menge heizte sich gegenseitig auf. Alle schrien durcheinander, und obwohl er kein Wort verstand, spürte Emmet, dass es Schuldzuweisungen und Verwünschungen waren. Nicht mehr lange, und der aufgebrachte Mob würde sich gegen ihn wenden. In einem solchen Zorn waren Menschen zu allem fähig.
    Emmet beschloss, sein Heil in der Flucht zu suchen, und rannte los. Mit einer Traube grölender Verfolger im Nacken jagte er zwischen den Hütten hindurch, dem Ortsrand entgegen. Er schwang sich über ein Holzgatter, durchquerte ein Ziegengehege und erreichte auf der anderen Seite schließlich die offene Savanne. Ohne einen Gedanken an Wildtiere zu verschwenden, tauchte er in das Meer aus mannshohem Gras und Gestrüpp ein.
    Die meisten Dorfbewohner gaben die Verfolgung bald auf. Nur wenige Hartnäckige durchkämmten das Gelände noch eine Weile, aber da sie völlig planlos vorgingen, hatte Emmet keine Schwierigkeiten, ihnen aus dem Weg zu gehen.
    Eine halbe Stunde später erreichte er seinen Wagen, schlüpfte ins Innere, zog leise die Tür zu und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Dann fuhr er auf der holprigen Piste davon, ohne das Licht einzuschalten.
    Emmet klopfte leise an die Holztür. Als niemand öffnete – was mitten in der Nacht kaum verwunderlich war – klopfte er lauter.
    Mach auf!, dachte er. Sonst wecke ich noch das ganze Dorf!
    Endlich öffnete die Tür sich einen Spalt, und ein völlig verschlafener Fasil Mgali stand vor ihm.
    »Ich brauche Ihre Hilfe!«, sagte Emmet eindringlich. »Darf ich reinkommen? Es ist wichtig!«
    Mgali wischte sich mit einer Hand die Müdigkeit aus dem Gesicht, trat beiseite und ließ Emmet ins Haus.
    »Sie waren in Wad Hashabi?«, fragte er, während er zum Küchentisch schlurfte und sich setzte.
    »Ich komme gerade von da«, sagte Emmet. »Heute Nacht sind wieder Menschen aus dem Dorf entführt worden.« Er erzählte, was vorgefallen war.
    »Dann nicht mehr lange, bis Jacht von Scheich Assad in Aqiq«, sagte Mgali. »Vielleicht sie schon hier.« Er stand auf, kramte ein Fernglas aus einer Schublade und löschte das Licht. Durchs Küchenfenster spähte er aufs Meer hinaus. Es dauerte nicht lange, bis sein Blick sich auf einen bestimmten Punkt zu konzentrieren schien. »Ich glaube, das die Jacht«, meinte er und reichte Emmet das Fernglas.
    Emmet spähte angestrengt in die Finsternis. Rasch entdeckte er den kleinen hellen Fleck, der sich deutlich von der schwarzen Fläche des Meeres abhob. »Die Kerle müssen sich verdammt sicher fühlen«, murmelte er. »Sie fahren mit Licht, als wär’s eine Vergnügungstour.«
    Emmet beobachtete den Lichtpunkt eine Weile. Er näherte sich von Südosten,

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