Der zweite Gral
wurde langsamer und verharrte schließlich.
Emmet nahm das Fernglas beiseite und sagte: »Sie gehen vor Anker.«
Mgali, der neben ihm stand, nickte. »Sie warten auf Leute aus Raffinerie«, sagte er.
»Sie meinen die Ingenieure?«
»Ja.«
Emmet sah hinaus aufs Meer. Die Jacht lag gut anderthalb Kilometer vom Ufer entfernt. Er fragte sich, ob die Entführten aus Wad Hashabi bereits an Bord gebracht worden waren. Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
»Mister Mgali«, sagte er. »Gibt es in Aqiq jemanden, der eine Taucherausrüstung besitzt?«
Tarek Abdou war sechzehn Jahre alt. Er arbeitete als Fischer, genau wie sein Vater und sein Großvater, doch eines wusste er genau: Er würde nicht sein Leben lang ein armer Fischer bleiben. Er wollte mehr.
Deshalb lag er – wie so oft in der Nacht – wach im Bett und malte sich aus, wie er dem kleinen Nest Aqiq eines Tages den Rücken kehren und in eine große Stadt ziehen würde, vielleicht sogar ins Ausland. Jedenfalls weit weg von hier. Das Problem war nur – seine Ersparnisse reichten längst nicht aus, um von hier zu verschwinden.
Durchs geöffnete Fenster hörte er leise Stimmen, die sich mit dem monotonen Rauschen des Meeres vermischten. Dass sich mitten in der Nacht Leute auf der Straße befanden, war seltsam. Neugierig stand der Junge auf, um nachzusehen, was los war.
Im trüben Licht einer Straßenlaterne beobachtete Tarek, wie Fasil Mgali gemeinsam mit einem unbekannten weißen Mann durch die Gassen schlich. Mgali war ein sonderbarer Kerl, den niemand im Dorf so recht leiden konnte, aber dass er zu nachtschlafender Zeit den Fremdenführer spielte, war selbst für ihn ungewöhnlich.
Die beiden Männer gingen ein Stück und blieben vor dem Haus von Kareem D’oud stehen. Fasil klopfte ein paar Mal, bevor die Tür aufschwang. Daraufhin folgte ein kurzer Wortwechsel, den Tarek nicht verstehen konnte. Aber er sah, wie D’oud in seinem Haus verschwand und gleich darauf mit einer Taucherflasche und einem Seesack zurückkehrte. Beides reichte er dem Fremden im Tausch gegen ein paar Geldscheine. Dann schloss D’oud wieder die Tür, und Fasil Mgali machte sich gemeinsam mit dem Fremden auf den Rückweg zu seinem Haus.
Tareks Neugier war geweckt. Endlich tat sich etwas in diesem öden Kaff! Kurz entschlossen schlüpfte er in eine Jacke und kletterte aus dem Fenster, um die Verfolgung aufzunehmen.
Sein Eifer wurde belohnt. Hinter einem Gebüsch kniend beobachtete er, wie die beiden Männer in Mgalis Haus gingen. Als sie wieder herauskamen, trug der Fremde einen Neoprenanzug. Die Taucherflasche hatte er sich auf den Rücken geschnallt. In der Hand hielt er Taucherbrille und Flossen. Seite an Seite mit Fasil Mgali schritt er in Richtung Ufer, wo er die Flossen über die Füße streifte, die Taucherbrille mit Speichel einrieb und sie über den Kopf zog. Dann sprach er leise mit dem Fischer, steckte sich das Atemgerät in den Mund und watete ins Wasser.
Tarek musste seine Fantasie nicht groß anstrengen, um zu erahnen, was der Fremde vorhatte. In einiger Entfernung erkannte er auf dem Meer die Umrisse einer Jacht – mindestens dreimal so lang wie der Kutter seines Vaters. Die Jacht von Scheich Assad. Andere Boote dieser Größe und Eleganz verirrten sich nicht nach Aqiq.
Die Frage war nur: Weshalb wollte der Fremde dorthin tauchen? Und was hatte Fasil Mgali damit zu tun?
Tarek beschloss, noch ein wenig zu warten und zu beobachten. Schlafen konnte er ohnehin nicht. Und ob er morgen beim Fischen müde war oder nicht, machte keinen Unterschied.
Aber schon zehn Minuten später dachte er anders darüber. Mgali war längst wieder im Haus, und den Taucher schien das Wasser verschluckt zu haben. Tarek langweilte sich beinahe so sehr wie beim Fischen. Wenn nicht bald etwas geschah, würde er wieder in sein Bett kriechen und darüber nachdenken, wie er Aqiq entfliehen konnte.
Das leise Brummen eines Motors erregte seine Aufmerksamkeit. Es kam nicht von Osten, vom Meer, sondern aus dem Norden. Tarek drehte den Kopf und sah ein Scheinwerferpaar, das sich auf der erhöhten Küstenstraße langsam dem Dorf näherte. Das Auto musste die Ingenieure von Scheich Assad zum Kai bringen. Aus einem Grund, den Tarek nicht kannte, wurden die Ingenieure meistens bei Nacht abgeholt.
Tarek fragte sich, ob der Taucher zu Scheich Assads Leuten gehören mochte, glaubte es aber nicht. Er glaubte vielmehr, dass Fasil Mgali und dieser Fremde irgendetwas im Schilde führten. Mgali
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