Der zweite Gral
Zeitungsmeldungen. In Wad Hashabi verschwanden immer nur dann Menschen, wenn kurz zuvor die Jacht von Scheich Assad in Aqiq aufgetaucht war.
»Weshalb sind Sie nicht zur Polizei gegangen?«, fragte Emmet.
Mgali blickte ihn an, als hätte er einen Verrückten vor sich. Dann sagte er, dass jemand, der Menschen raubt, auch nichtvor einem Mord an einem Fischer aus Aqiq zurückschrecken würde. Emmet musste gestehen, dass die Furcht des Schwarzen nicht ganz unbegründet war. Unter diesem Aspekt war es ziemlich mutig von Mgali, ihn und Anthony Nangala ins Vertrauen gezogen zu haben.
Emmet trank sein Bier aus und überdachte sein weiteres Vorgehen. Aber noch bevor er zu einem Entschluss kam, sagte Mgali: »Leute Von Scheich Assad wieder hier. Auch Sandmann.«
»Sie meinen, jetzt ? Während wir hier miteinander reden?«
»Ja. Jacht gekommen vor zwei Tagen.«
»Und wann werden sie wieder abgeholt?«
Mgali hob die Schultern. »Zwei Tage. Vielleicht drei. Niemand weiß genau.«
Emmet lehnte sich in seinem wackeligen Stuhl zurück. Das waren hochinteressante Neuigkeiten. Er fragte sich, ob auch diesmal Menschen aus Wad Hashabi verschwinden würden. »Mister Mgali«, fragte er, »gibt es hier in der Nähe ein Telefon?«
Obwohl er im Telefonbuch nicht aufgeführt war, besaß Fasil Mgali einen eigenen Anschluss. Emmet gab dem Fischer Geld fur ein Auslandsgespräch und wurde von ihm zu einer Nische an der Eingangstür geführt. Während Emmet telefonierte, ging Mgali nach draußen, um weiter sein Boot zu streichen.
Nach dem dritten Klingeln nahm Lara ab. Emmet berichtete ihr, was er herausgefunden hatte, und bat sie, ein wenig zu recherchieren.
»Mich interessiert alles, was es über Scheich Assad zu wissen gibt«, sagte er. »Faruq al-Assad. Wo genau lebt er? Wie reich ist er? Wie viel Einfluss übt er in seinem Land aus? Versuch, so viel wie möglich über ihn herauszufinden.«
»Okay.«
»Vielleicht kannst du bei der Gelegenheit auch etwas überdie Raffinerie in Erfahrung bringen, die Assad hier errichtet hat. Sie läuft auf den Namen seiner Firma: Talit Oil. Die Anlage ist vor etwa einem Jahr in der Nähe von Aqiq errichtet worden. Mehr weiß ich leider nicht.«
»Ich werde sehen, was ich damit anfangen kann.« »In Ordnung. Übrigens werde ich eine Zeit lang nicht erreichbar sein. Ich will noch mal nach Wad Hashabi, ein bisschen die Augen offen halten. Ich habe den Verdacht, dass dort demnächst wieder der schwarze Dämon zuschlagen wird. In zwei oder drei Tagen melde ich mich wieder bei dir.«
Er hängte ein und ging hinters Haus. Draußen hatte bereits die Abenddämmerung eingesetzt, und vom Meer wehte eine sanfte Brise Staub über den Boden. Emmet bedankte sich bei Fasil Mgali und machte sich auf den Rückweg zu seinem Auto.
Die Sonne ging in diesen Breitengraden rasch unter, deshalb war es bereits dunkel, als Emmet in Wad Hashabi eintraf. Er parkte etwas abseits der Zufahrt hinter mannshohen Sträuchern, damit der Wagen keinem nächtlichen Entführer auffallen konnte, und ging das letzte Stück zu Fuß.
Das gesamte Gemeinschaftsleben schien sich um das prasselnde Feuer auf dem Dorfplatz herum abzuspielen. Holz knackte, orangegelbe Flammen züngelten dem aufgehenden Mond entgegen, und Funken stiegen wie Glühwürmchen in den schwarzen Himmel. Feiner Rauch lag in der kühlen Nachtluft. Von überall her drang das Zirpen der Insekten.
Die meisten der um das Feuer Versammelten trugen traditionelle afrikanische Umhänge aus rotem und blauem Stoff, dazu auffälligen Ohren- und Halsschmuck. Einige sangen und tanzten, viele saßen einfach nur auf Decken und Matten im sandigen Boden und unterhielten sich.
Als Emmet in den Lichtkreis der Feuerstelle trat, verstummten die Gespräche. Auch Tanz und Gesang endeten abrupt.
Stattdessen richteten sich nun dutzende von stummen Augenpaaren auf ihn – teils neugierig, teils fragend, teils ablehnend. Emmet hielt es fur das Beste, einen Moment lang stehen zu bleiben, damit die anderen sich an ihn gewöhnen konnten.
Er ließ den Blick durch die Runde wandern und fühlte sich an seinen gestrigen Besuch erinnert: Die meisten Bewohner hatten den Zenit ihres Lebens längst überschritten. Er sah faltige Gesichter, zahnlose Münder, gebeugte Körper. Wad Hashabi, das Dorf der Alten.
Endlich erkannte er inmitten der Greise auch ein paar Kinder, außerdem eine kleine Gruppe von Frauen und Männern zwischen zwanzig und vierzig, darunter auch der Metzger – einer der wenigen, die
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