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Der zweite Kuss des Judas.

Der zweite Kuss des Judas.

Titel: Der zweite Kuss des Judas. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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archäologisch zu verlustieren, in Montelusa aufhielt, erfuhr ich von einem Hotelpagen, dass ein gewisser Antonio Patò während seines Auftritts in einem Mysterienspiel, und also vor aller Augen, verschwunden ist.
      So hat Anthony Patow, der seinen Namen in Antoine Pateau und später in Antonio Patò geändert hat, den Zyklus seiner Abstürze (wenn auch nicht mehr im Soldatenrock) von Lücke zu Lücke fortgesetzt!
    Ich eilte nach Vigàta, wo ich einen Teil der Bühne und vor allem die Treppe ausgiebig untersuchen konnte, auf der Antonio Patò sofort nach seinem Sturz in die Versenkung gelandet war.
      Es kann kein Zweifel, keinerlei Ungewissheit bestehen: Das Phänomen hat sich erneut wiederholt! Da eindeutig feststeht, dass Patow vornüber in das Innere der Lücke gefallen ist - schließlich erschien er Jahre darauf als Pateau, der, weil als Patò zurückgekehrt, ebenfalls vornübergefallen war -, muss unbedingt festgestellt werden, ob Patow-Pateau-Patò beim letzten Mal ebenfalls vornübergefallen oder nach hinten gestürzt ist.

      In diesem zweiten Fall hätte Patò den Lückenzyklus gen Zukunft unterbrochen, um den entgegengesetzten Zyklus zu unternehmen und also sich in die Vergangenheit zurückzubegeben.
      Das zu wissen, ist unerlässlich. Wir müssen es in Erfahrung bringen. Eine sorgfältige Konsultation der historischen Archive der Insel würde ausreichen, um sämtliche Fälle von Verschwundenen in der Vergangenheit zu eruieren, im Besonderen von Personen mit Vor- und Nachnamen, die wie Patow (zum Beispiel: Patù), Pateau (zum Beispiel: Papò) und Patò (zum Beispiel: Palò) klingen. Ich flehe Sie an, Signor Sindaco, und es fällt mir nicht schwer, mich in meiner Rede zu wiederholen, diese Nachforschungen beherzt in die Wege zu leiten: Sie würden sich um die Wissenschaft und um die Menschheit hoch verdient machen!

      Die Resultate können jedenfalls nicht anders als positiv sein. Selbst wenn man von früheren verschwundenen Patòs keine Spur fände, wüsste man dann, dass auch Antonio Patò vornübergefallen und Richtung Zukunft unterwegs ist. Sie können Ihre Antwo rt auf meinen Brief an den Konsul von Palermo senden. Mit den besten Empfehlungen.
    Sir Alistair O'Rodd (Hofastronom)

    KÖNIGLICHES POLIZEIKOMMISSARIAT VIGÀTA
    An den
    Signor Questore Montelusa An den
    Capitano Comandante d er Kgl. Carabinieri Montelusa
Vigàta, den 1. April 1890
Tgb.-Nr. 218
Betreff: Ermittlungen im Fall des vermissten Patò

      Heute Morgen bat Signora Elisabetta Mangiafico verh. Patò uns, sie zu Hause aufzusuchen.
      Die Signora, die infolge des Vorfalls in der Hauptkirche vom vergangenen Freitag leichtes Fieber hatte, hatte von unserem Besuch bei Doktor Giosuè Picarella, dem Hausarzt ihres Gatten, erfahren.

      Trotz ihres Gesundheitszustandes beantwortete die Signora unsere Fragen unverzüglich, denn sie befürchtete womöglich weitere Erklärungen wie jene, die Pater Seminara zum Verschwinden ihres Mannes geliefert hat, und sie selbst bevorzugt Lösungen eher irdischer Natur.

      Sie erklärte, sie habe uns herbemüht, weil sie uns etwas mitteilen wolle, was Patò Doktor Picarella verheimlicht hatte.

      Seit einem Monat litt Antonio Patò unter so ausgeprägten Schlafstörungen, dass er sich beim Apotheker Lopane einen bestimmten Schlaftrunk besorgen musste. Die Schlafstörungen hätten, wie Patò seiner Gattin erklärte, die das Fläschchen in seiner Manteltasche gefunden hatte, eine tragische Ursache: Seit einem Monat vermisse man die in Montelusa wohnhafte Signora Rachele Infantino, Gattin von Emanuele Cardillo, dem Provinzialdirektor der Banca di Trinacria; sie war nach Palermo gereist, wo sie ihre Schwester besuchen wollte.
    Filialdirektor Patò begab sich jeden Samstagnachmittag an den Provinzialsitz der Bank, um Direktor Cardillo über den Geschäftsverlauf der Filiale zu berichten. Es wurde oft spät, und dann lud Cardillo Patò zum Abendessen ein. So erwuchs aus der beruflichen Beziehung sehr bald eine Freundschaft, und es ergab sich, dass Patò jeden Samstag bei den Cardillos zum Abendessen blieb. Auch Signora Patò nahm einige Male an diesen Abendessen teil, doch einem regelmäßigen Besuch standen ihre kleinen Kinder im Wege.
      Als Signora Rachele Infantino nicht mehr da war, litt Patò sehr, und er verstärkte, um den bitteren Schmerz seines Freundes zu lindern, die Besuche bei Cardillo, dem zu allem Übel auch noch eine schwere Krankheit zusetzte. Dies war laut Signora

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