Der zweite Kuss des Judas.
Mangiafico verh. Patò die Ursache für den nervösen Zustand ihres Mannes, aus dem die Schlafstörungen im letzten Monat resultierten. Er lehnte es, obwohl die Signora ihn mehrmals dazu aufgefordert hatte, ab, mit seinem Hausarzt darüber zu sprechen, und rechtfertigte seine Ablehnung damit, dass mit der Zeit gewiss alles vorbeigehen werde.
Dieser Seelenzustand ihres Mannes, davon ist Signora Patò fest überzeugt, muss zu dem Gedächtnisverlust beigetragen haben, aufgrund dessen er verschwunden ist. Wir nahmen die Gelegenheit wahr, die Signora zu fragen, ob sie etwas von einem Jutesack wisse, den ihr Mann dabeigehabt haben soll, als er sich in den Palazzo Curtò begab, um sich umzuziehen und sein Kostüm anzulegen. Die Signora zeigte sich sehr erstaunt: Ihr Mann sei sehr früh aus dem Haus gegangen, um pünktlich zu sein; gewissenhaft und genau, wie er sei, hätte er es sich niemals erlaubt, auch nur ein klein wenig zu spät zu kommen, aber er habe ganz bestimmt nichts bei sich gehabt, schon gar keinen Jutesack.
Unsere folgenden Überprüfungen haben ergeben, dass: Filialdirektor Patò sich bei Apotheker Lopane tatsächlich eine schlaffördernde Arznei besorgt hat; Filialdirektor Patò tatsächlich als Erster in den Umkleideraum gekommen und seinem Freund Lo Forte der Jutesack aufgefallen ist.
Wir wollen jedoch darauf hinweisen, dass der Apotheker
Lopane, als wir uns von ihm verabschiedeten, Folgendes hinzugefügt hat: »Übrigens war das nicht das erste Mal.« Als wir ihn um eine Erläuterung baten, erklärte er, Patò leide seit mindestens zwei Jahren an Schlafstörungen, denn er habe sich diese Arznei auch schon früher geben lassen. Wir wurden erneut im Hause Patò vorstellig und fragten die Signora, ob sie darüber im Bilde sei, dass ihr Mann seit sage und schreibe zwei Jahren an Schlafstörungen leide und er dieses Medikament daher schon seit langem und nicht erst im letzten Monat habe nehmen müssen. Die Signora, die einen ganz und gar ehrlichen Eindruck machte, fiel aus allen Wolken, sie habe nie gesehen, dass ihr Mann vor dem Schlafengehen diese Arznei genommen hätte. Aus welchem Grund hatte Patò allen, Ehefrau und Arzt eingeschlossen, sein Unwohlsein verheimlicht, das ihn kein Auge schließen ließ?
Der Polizeikommissar Der Maresciallo der Kgl. Carabinieri (Ernesto Bellavia) (Paolo Giummàro)
RATHAUS VIGÀTA
Auszug aus dem Sitzungsprotokoll
Der Stadtrat Vigàta hat in seiner Sitzung vom 2. April 1890 um 10 (zehn) Uhr vormittags nach Verlesen des Briefes von Sir Alistair O'Rodd betreffs Bitte, in allen Archiven der Insel nachzuforschen, ob es in den vergangenen Jahren mysteriöse Fälle von verschwundenen Personen gegeben hat, FESTGESTELLT, dass es in Sizilien zu viele Fälle verschwundener Personen gegeben hat, gibt und geben wird, und LEHNT ES DAHER AB , wenn auch mit dem größten Bedauern, der Bitte des verehrten Hofastronomen des Vereinigten Königreiches von Großbritannien nachzukommen, weil das Rathaus jeglicher Geldmittel entbehrt.
La Gazzetta dell'Isola
Herausgeber: Gesualdo Barreca
Palermo, 2. April 1890
EIN GUTER RAT
Ein Leser aus Vigàta hat uns einen Brief geschickt, der ordnungsgemäß unterschrieben und mit Absender versehen ist, den wir jedoch aus unseren Lesern gewiss leicht verständlichen Gründen in der Anonymität belassen wollen; in diesem Brief werden einige ungewöhnliche Mutmaßungen über das Verschwinden von Antonio Patò geäußert. Die Mutmaßungen gründen auf einer Beobachtung des Lesers aus Vigàta, der, einen Tag nachdem Patò verschwunden war, sah, wie der Hauptkassierer der Banca di Trinacria, Filiale Vigàta, Buchhalter Vitantonio Tortorici, mit lauter Stimme eine Schar Eisenschmiede antrieb und alle Schlösser des Portals der Filiale auswechseln ließ. Daraus folgerte der Leser aus Vigàta, dass mit dem Filialdirektor auch die Schlüssel sowohl des Portals wie des Geldschranks verschwunden waren.
Ausgehend von diesem durch die Vernunft ausreichend gestützten Blickwinkel leitet der Leser zwei unterschiedliche Hypothesen ab. Erstens könnten unbekannte Schurken die allgemeine Konfusion genutzt und Filialdirektor Patò mit der Waffe in der Hand entführt haben, um die Schlüssel der Filiale in ihren Besitz zu bringen und dann ungestört und in aller Ruhe nachts dort einbrechen zu können und einen sicherlich einträglichen Diebstahl von Geschäftspapieren oder Geld zu begehen.
Gemäß der zweiten Hypothese, die gewiss weitaus
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