Der zweite Kuss des Judas.
diffuse Schwellung der Lymphknoten oder Fieberschübe festzustellen, nein, hier litt der Patient an progressiven Schlafstörungen, die ihn unter anderem daran hinderten, seiner gewohnten Tätigkeit nachzugehen. Sie wissen vielleicht nicht, dass die Krankheit in ihrer anschließenden Entwicklung heftige Asthmaanfälle mit sich bringt, auf die für gewöhnlich ein tödliches Koma folgt. Die üblichen Therapien zeitigten bei dem Patienten bedauerlicherweise keinerlei Wirkung.
Ohne jede Vorankündigung verschwanden die Schlafstörungen von heute auf morgen vollkommen infolge eines schweren Traumas, das der Patient erlitten hatte, nämlich des tragischen Verschwindens seiner Ehefrau. Der Sinn meines Vortrags bestand genau darin: Kann eine sehr starke Emotion den Verlauf einer Krankheit aufhalten?
Was Ihre letzte Frage anbelangt, werden Sie gewiss verstehen, dass es mir unmöglich ist, den Namen des Patienten zu nennen, das verbietet mir die ärztliche Schweigepflicht. Ich kann allenfalls den von Ihnen genannten Namen nicht bestätigen und nicht korrigieren. Nehmen Sie meine besten Grüße entgegen.
Prof.Dott. Cav. Emerico Notarbartolo
STATION DER KÖNIGLICHEN CARABINIERI VIGÀTA
An den
Capitano Comandante d er Kgl. Carabinieri Montelusa
An den
Signor Questore Montelusa
Vigàta, den 12. April 1890
Betreff: Ermittlungen im Fall des verschwundenen Patò Tgb.-Nr. 325
Wir haben Emanuele Cardillo, Provinzialdirektor der Banca di Trinacria, in Montelusa aufgesucht und über die Zusammenkünfte befragt, die jeden Samstagnachmittag und abend zwischen dem Obengenannten und Filialdirektor Patò stattfanden.
Mit ausgesuchter Höflichkeit erklärte Bankdirektor Cardillo Folgendes:
Antonio Patò kam gegen sechs Uhr nachmittags in die Bank in Montelusa; er brachte ein Köfferchen mit den Akten mit, die sie für die wöchentliche Buchprüfung benötigten. Sie blieben bis acht Uhr abends in der Bank.
Darauf begaben sie sich zu Bankdirektor Cardillo nach Hause, wo dessen Frau schon den Tisch für das Abendessen gedeckt hatte.
Sie aßen, und spätestens, wenn es zehn geschlagen hatte, verabschiedete sich Patò und machte sich wieder auf den Weg nach Vigàta.
Bankdirektor Cardillo fügte von sich aus noch Folgendes hinzu: Er litt zu der Zeit unter der im Volksmund so genannten »Schlafkrankheit« und hätte eine längere Unterhaltung nicht durchgestanden.
Ebenfalls festgestellt haben wir, dass Patò seine Fahrten von Vigàta nach Montelusa und zurück wie folgt zu unternehmen pflegte:
Er war im Besitz eines Pferdes und einer jener Kaleschen, die man in unserer Gegend »scappacavallo« nennt; beides befand sich im Stall eines gewissen Vincenzo Ingarriga, zu dem er den Schlüssel besaß.
Darüber hinaus haben wir Kenntnis vom Schreiben des Hauptmanns Arnoldo Mangiafico erhalten, in dem behauptet wird, Signora Patò leide sehr unter unseren Besuchen, die wir ihr gewiss nicht zu unserem Vergnügen abstatten. Wir haben Folgendes beschlossen:
Der Commissario sucht Signora Mangiafico verh. Patò allein auf, sodass die Störung wenigstens halbiert wird. Als der Commissario von seinem Besuch zurückkehrte, berichtete er Folgendes:
Die Signora hat wiederho lt fest behauptet, dass ihr Mann von seinen Samstagsbesuchen bei Bankdirektor Cardillo nie vor fünf Uhr morgens zurückgekehrt sei. Da die Signora einen sehr leichten Schlaf hat, wachte sie, obwohl ihr Mann möglichst leise zu sein versuchte, bei seiner Rückkehr auf und hörte kurz darauf die Rathausuhr schlagen. Wir weisen darauf hin, dass diese Uhr sogar die Viertelstunden schlägt.
Patò rechtfertigte seine Rückkehr in den Morgenstunden immer mit der umfangreichen Arbeit, die mit Cardillo zu erledigen war, und Signora Mangiafico hatte nie einen Grund, daran zu zweifeln.
Bedenkend, dass die Entfernung zwischen Montelusa und Vigàta mit einer Kalesche in maximal einer Stunde zurückzulegen ist, kann unsere Frage auf folgenden Punkt verdichtet werden:
Was machte Antonio Patò in den Stunden zwischen dem Verlassen des Hauses von Bankdirektor Cardillo (etwa um zehn Uhr abends) und der Rückkehr in seine Wohnung in Vigàta (etwa um fünf Uhr morgens)? Es handelt sich um immerhin sechs Stunden, ausgenommen eine Stunde Heimfahrt. Wo hielt er sich auf? Mit wem traf er sich? Zu Ihrer Kenntnisnahme.
Der Maresciallo Der Polizeikommissar der Kgl. Carabinieri (Ernesto Bellavia) (Paolo Giummaro)
L'Araldo di
Weitere Kostenlose Bücher