Der Zweite Messias
sagen. Weißt du es?«
Becket steckte das Bild des Ehepaars unter seine Kutte. »Ja, Anna. Es geht um ein schreckliches Geheimnis, das nur dein Bruder und ich kennen.«
»Was für ein Geheimnis?«
Genau in diesem Moment zuckten Franz Kubels Lider; dann öffnete er die wässrigen Augen und richtete den Blick auf John Becket. Es war, als wäre er plötzlich aus dem Koma erwacht. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, als er versuchte, seine vom Krebs befallenen Lungen mit Luft zu füllen.
Becket rieb die knöchernen Hände des Priesters und sagtefreundlich: »Franz, alter Freund, es ist schön, dich noch einmal zu sehen. Ich habe dir die Sterbesakramente erteilt. Bald wird Gott dich in seine liebenden Arme schließen. Verstehst du mich, Franz? Nicke, wenn du mich verstehst.«
Es kostete Franz Kubel sichtlich Kraft, doch er nickte und umklammerte Beckets Hand.
»Gut, du kannst mich verstehen«, flüsterte Becket. »Bist du nun von allen deinen Sünden befreit, lieber Freund?«
Kubel traten Tränen in die Augen.
»Die Zeit ist gekommen, Franz«, fuhr der Papst leise fort. »Wir müssen Anna das Geheimnis anvertrauen, das wir beide über so viele Jahre hinweg für uns behalten haben. Du musst tun, was für uns beide das Richtige ist. Vor allem musst du es um der Kirche willen tun. Anna steht als Zeugin bereit, um sich das Geständnis unseres Verbrechens anzuhören.«
Anna Kubels verwirrter Blick glitt zwischen ihrem Bruder und Becket hin und her. »Verbrechen? Was redest du da?«
»Das erkläre ich dir später, Anna. Jetzt hör bitte zu …«
Der Papst verstummte, als Franz Kubel mit seinen knöchernen Fingern die Hand seiner Schwester ergriff. Seine keuchende Stimme war trocken wie Schmirgelpapier. »Anna, du … musst dir anhören, was ich dir … zu sagen habe. Und dann musst du tun, was der Heilige Vater dir befiehlt …«
98.
»Okay, Leute, es geht los«, sagte Fonzi.
Der Beamer war eingeschaltet und beleuchtete das strahlend weiße Whiteboard. Jack und Lela, die auf zwei Plastikstühlen in dem schummerigen Kellerraum saßen, blinzelten, als sie in das grelle Licht schauten.
Fonzi bediente den Beamer, der mit einem Laptop verbunden war. Er schaltete eine Schreibtischlampe ein, setzte sich eine schmale Lesebrille auf den Nasenrücken und sah sich ein paar Notizen an. »Also, ich habe die Bilder von meinem Handy auf den Computer überspielt. Dann habe ich den Text mit Hilfe meines Softwareprogramms drei Mal hintereinander entschlüsselt und übersetzt, um ganz sicher zu sein, dass sich kein Fehler eingeschlichen hatte. Mit diesem Programm habe ich schon häufiger Schriftrollen vom Toten Meer übersetzt. Es ist sehr zuverlässig.«
»Und wie funktioniert es?«
»Beim Atbasch-Code wird das aramäische Alphabet in umgekehrter Reihenfolge benutzt. Es ist also ziemlich einfach, diesen Code zu entschlüsseln. Könnt ihr mir so weit folgen?«
»Klar«, sagte Jack, und Lela nickte.
»Gut.« Fonzi drückte auf mehrere Tasten seines Laptops, woraufhin aramäische Schriftzeichen auf das Whiteboard geworfen wurden, die nach ein paar Sekunden wieder verschwanden. Dann erschienen nacheinander die einzelnen Teile der Schriftrolle, bis schließlich alle acht Teile zu sehen waren. »Okay, Jack, das ist die vollständige Schriftrolle, die du mir per MMS in acht Fotos geschickt hast«, sagte Fonzi. »Ich füge sie nun zu einem einzigen übersetzten Text zusammen, einschließlich der ersten nicht codierten Zeilen. Und dann wird es wirklich interessant.«
Wieder drückte Fonzi auf mehrere Tasten. Anstelle der acht Teile war jetzt die Übersetzung zu sehen. Fonzi schaltete den Laserpointer ein und ließ den roten Punkt über den gesamten Text kreisen.
»Das hier ist ungefähr die Hälfte der Schriftrolle. Zuerst habe ich den Text selbst entschlüsselt und übersetzt. Dann habe ich ihn durch die Übersetzungssoftware laufen lassen und die beiden Texte miteinander verglichen. Was ihr auf dem Whiteboard seht, ist eine so wortgetreue Übersetzung, wie es nur möglich ist. Lest euch alles in Ruhe durch. Dann kommt der zweite Teil.«
Jack und Lela schauten auf das Whiteboard. Dort stand:
Diese Geschichte betrifft jenen Mann, der Jesus, der Messias genannt wird. Nachdem er von Caesarea nach Dora gereist war, wo sein Name sehr bekannt geworden war, gelang es ihm trotz seines Versprechens nicht, die Blinden und Kranken zu heilen. Kurz darauf wurde er in Dora von den Römern gefangen genommen, vor ein Gericht gestellt, für
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