Der zweite Mord
zu haben.
Sie war geringfügig kleiner als Irene. Ihr Haar war dick, blond und an den Schultern gerade abgeschnitten. In der Beleuchtung der Garagenauffahrt sah Irene, dass sie stark sonnengebräunt war. Da es noch kaum Mitte Februar war, musste sie davon ausgehen, dass es sich um Solariumbräune handelte.
»Du weißt doch, dass ich dich dienstags nicht abholen kann. Ich höre um fünf auf, und das Studio fängt schon um halb sieben an. Warum hast du nicht den Mazda genommen?«
Sie hatte eine weiche und angenehme Stimme, möglicherweise mit einem fast unmerklichen metallischen Unterton. Oder bildete sich Irene das nur ein, weil diese Frau jünger und schöner war als sie selbst?
»Ich bin zu Fuß zur Arbeit gegangen. Gestern früh«, sagte Löwander seufzend.
Er stieg aus dem Wagen und ging durch das offene Garagentor. Irene hörte, wie er in der Garage eine Tür öffnete und wieder schloss. Sie stieg ebenfalls aus dem Volvo, streckte der Frau die Hand hin und stellte sich vor:
»Kriminalinspektorin Irene Huss.«
Die Frau gab ihr eine kühle Hand und drückte die ihre überraschend fest.
»Carina Löwander.«
»Haben Sie gehört, was in der Löwander-Klinik passiert ist?«
»Ja. Mein Mann hat mich heute Morgen in der Arbeit angerufen. Aber wir konnten uns noch nicht ausführlicher unterhalten.«
Sie hielt inne und schaute ausgiebig und demonstrativ auf ihre schöne Armbanduhr mit gewölbtem Glas und metallicblauem Zifferblatt.
»Entschuldigen Sie, aber das Training beginnt in einer Viertelstunde. Und ich leite es«, sagte sie mit einem Lächeln.
Sie drehte sich auf ihren hohen Absätzen um, zog ihre Pelzjacke zurecht und ließ sich dann graziös in den BMW gleiten. Irene blieb nichts anderes übrig, als dasselbe zu tun. Aber mit Curlingstiefeln, verschlissener Lederjacke und einem alten rostigen Volvo 240 ergab das nicht dasselbe Bild. Außerdem konnte ein Flickenteppich aus Kompressen auf einem müden Gesicht ohnehin nicht mit perfekter Haut und frischer Sonnenbräune konkurrieren.
Die Kommentare der Familie fielen genauso aus, wie sie sich das gedacht hatte:
»Was hast du nur angestellt?«
»Wie sieht der aus, der das mit dir gemacht hat?«
»Nur weil du bei den Schönheitschirurgen bist, musst du dich doch nicht gleich unters Messer werfen?«
Letzteres hatte Krister witzig gemeint, aber Irene war nicht zum Scherzen aufgelegt. Die Kommentare ihrer Töchter erwiderte sie kurz mit:
»Legt euch nie ’ne Katze zu!«
Sammie kam angerast und bezeugte Irene seine Anteilnahme. Als sie sich zu ihm hinunterbeugte, um seinen weichen weizenfarbenen Pelz zu streicheln, schnupperte er misstrauisch an ihren Kompressen.
Natürlich war sie gezwungen, der ganzen Familie zu erzählen, was vorgefallen war. Sie erstattete jedoch nur in Auszügen über die dramatischen Vorfälle des Tages Bericht. Gleichzeitig rollte sie Spaghetti auf ihre Gabel. Die ganze Familie aß an diesem Tag spät. Irene und Krister, weil sie spät von der Arbeit gekommen waren, Katarina, weil sie direkt nach der Schule zum Jiu-Jitsu-Training gegangen war, und Jenny, weil ihr Gitarrenunterricht erst um halb sieben zu Ende war. In letzter Zeit war die Familie nur noch selten vollständig um den Esstisch versammelt. Irene fand es gemütlich, alle um sich zu haben. Plötzlich fiel ihr auf, dass Jenny sich keine Hackfleischsauce zu ihren Nudeln genommen hatte. Die Schüssel stand neben ihr, und sie reichte sie ihrer Tochter. Diese sah auf die braunrote, tomatenduftende Sauce und schüttelte dann entschieden den Kopf.
»Ich esse kein Fleisch mehr«, sagte sie.
»Kein Fleisch? Warum?«, wollte Irene wissen.
»Ich will keine toten Tiere essen. Die haben dasselbe Recht zu leben wie wir. Alle Tierhaltung ist Folter.«
»Hast du deswegen auch aufgehört, Milch zu trinken?«
»Ja.«
»Warum?«
»Die Milch der Kühe ist für die Kälber da, nicht für uns Menschen.«
Kristers Stimme klang wütend, als er aufbrauste:
»Was sind das für Dummheiten? Bist du jetzt auch so eine verdammte Vegetarierin geworden?«
Jenny sah ihm lange direkt in die Augen, ehe sie antwortete:
»Ja.«
Um den Esstisch herum wurde es still. Katarina unterbrach das Schweigen.
»Sie sagt, dass ich meine neuen Stiefel nicht tragen darf«, sagte sie sauer.
»Die sind aus Leder! Es gibt wärmere und bessere aus Textilmaterial!«
»Und dann durfte ich heute Morgen keinen Honig in den Tee tun!«
»Nee! Denn der gehört den Bienen!«
Die beiden Mädchen schauten sich
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