Der zweite Mord
imposanter Schifferbart umrahmten ein paar freundliche graublaue Augen. Nachdem sie sich vorgestellt hatten, sagte er mit leiser Stimme:
»Mimmi, die Sie gleich treffen werden, hat in einem der Nachbarhäuser eine kleine Wohnung. Sie kommt jeden Tag hier ins Café, um jemanden zu haben, mit dem sie sich unterhalten kann. Vor fünf Jahren ist ihre Schwester gestorben, und sie hat ihre Wohnung geerbt. Das bedeutete für sie die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.«
»Wie alt ist sie?«, wollte Irene wissen.
»Um die sechzig. Aber sie kommt gut zurecht. Mit etwas Hilfe von der mobilen Altenpflege. Darauf ist sie sehr stolz. Leider ist sie sehr einsam. Ihre Schwester und sie waren die Letzten ihrer Familie. Seit die Schwester starb, ist sie ganz allein. Aber schließlich hat sie uns.«
»Sehen Sie hier viele psychisch Kranke?«, fragte Tommy.
Kent Olsson nickte betrübt.
»Ja. Leider. Viele von ihnen tauchen hier auf. Aber die meisten treffen wir, wenn wir mit dem Kleinbus der Diakonie unterwegs sind.«
Sie waren zu einer Glastür gekommen, auf der Café stand. Kent Olsson hielt sie auf. Der Geruch von ungewaschenen Menschen schlug ihnen entgegen. Es saßen aber nicht viele Leute an den Tischen, was in Anbetracht des Wetters verwunderlich war.
»Das sind nicht viele«, stellte Irene fest.
»Nein. Die meisten sind schon weg, um einen Schlafplatz aufzutreiben«, erwiderte Kent Olsson.
Hinten am Fenster hockte eine kleine, etwas rundliche Frau mit rotem Stirnband und einem löchrigen Helly-Hansen-Pullover, der zu Anbeginn der Zeiten wohl einmal orange gewesen war. Sie lächelte sie zahnlos an, erhob sich mit Mühe vom Stuhl und streckte ihnen ihre dicken Finger entgegen. Irene nahm sie vorsichtig und versuchte den scharfen Uringeruch zu ignorieren.
»Guten Abend. Irene Huss, Inspektorin von der Kriminalpolizei.«
»Guten Abend. Ich heiße Mimmi.«
Die Stimme war gellend und rau. Sie räusperte sich mehrmals und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Das hatte nicht viel Sinn, da die belegte Zunge ebenso trocken zu sein schien wie diese.
»Guten Abend, Mimmi. Ich heiße Tommy Persson.«
Irene sah aus den Augenwinkeln, dass an den Nachbartischen gelauscht wurde. Einer nach dem anderen verschwand durch die Tür.
Irene kam sofort zum Thema.
»Kent hier sagt, dass Sie möglicherweise den Namen der Frau wissen, nach der wir suchen. Sie nennt sich Mama Vo …«
»Vogel. Gunnela hat einen Vogel!«, kicherte Mimmi.
»Gunnela. Heißt sie Gunnela?«
Mimmi nickte eifrig.
»Kennen Sie auch Ihren Nachnamen?«
»Hägg.«
Irene sah, dass Tommy mitschrieb und fuhr deshalb fort:
»Wo haben Sie Gunnela kennen gelernt?«
»Wir waren auf derselben Station.«
»In Lillhagen?«
Mimmi nickte erneut und leckte sich über ihre gesprungenen Lippen.
»Wie lange kennen Sie sich?«
»Schon immer.«
»Was meinen Sie damit? Alle die Jahre, die Sie in Lillhagen waren?«
»Nein. Alle Jahre, die sie dort war.«
»Wie viele Jahre war sie dort?«
»Weiß nicht.«
Mimmi sah desinteressiert aus und versuchte ihre zitternde linke Hand ruhig zu halten, indem sie ihre Rechte darauf legte. Das Ergebnis war, dass jetzt beide Hände zitterten.
»Wie viele Jahre waren Sie in Lillhagen?«
Ohne von ihren vibrierenden Händen aufzuschauen, antwortete Mimmi:
»Zweiunddreißig Jahre, fünf Monate und sechzehn Tage.«
»Wie alt sind Sie?«
»Sechsundfünfzig.«
Irene rechnete schnell nach, dass Mimmi etwa vierundzwanzig gewesen sein musste, als sie in die psychiatrische Anstalt eingewiesen worden war. Mimmi schaute wieder zu Irene hoch.
»Ich durfte versuchen, außerhalb von Lillis zu wohnen. Aber das ging nicht. Jetzt geht es gut. Ich bekomme nur eine Spritze im Monat.«
Sie lächelte und sah zufrieden aus.
»Mehr Medikamente brauchen Sie nicht?«
Wieder nur ein Nicken zur Antwort. Wenn die Wirkung einen ganzen Monat anhielt, mussten das wirklich ganz schöne Hämmer sein. Kein Wunder, dass sie so zitterte.
»Wie alt ist Gunnela?«, fuhr Irene fort.
Mimmi zuckte mit den Schultern.
»Ist sie älter als Sie?«
»Sie ist jünger. Viel jünger.«
Irene war überrascht. Das hatte sie nicht erwartet. Möglicherweise gleichaltrig, aber nicht jünger.
»Wissen Sie ungefähr, wie viel?«
Zur Antwort zuckte Mimmi erneut mit den Schultern.
»Hat sie auch schon Vögel gefüttert, als Sie mit ihr auf der Station waren?«
»Immer, wenn wir Ausgang hatten, hat sie sie gefüttert. Sie konnte mit den Vögeln sprechen. Sagte
Weitere Kostenlose Bücher