Der zweite Mord
Knochen gebrochen, und zahlreiche Spuren weisen auf frühere Misshandlungen hin. Zwei Finger waren gebrochen und offenbar ohne Behandlung wieder zusammengewachsen. Der Schädelknochen war im Nacken zertrümmert. Diese Verletzung war tödlich. Bei meinem ersten Verhör mit dem Gebrauchtwagenhändler hat er behauptet, an totalem Gedächtnisverlust zu leiden. Ich hätte das wohl eher einen ordentlichen Kater genannt. Gestern hielt er immer noch an seinem Gedächtnisverlust fest, aber heute kam er mit einer vollkommen anderen Version.«
Gegen seinen Willen fand Andersson die Sache interessant, und obwohl die meisten der Ermittlungsgruppe mittlerweile gekommen waren, sagte er kurz:
»Und die wäre?«
»Also. Die polnische Mafia sei im Laufe des Abends in die Wohnung eingedrungen. Mit vorgehaltener Pistole zwangen die Schurken Schölenhielm eine ganze Flasche Grant’s zu trinken und erschlugen anschließend seine Lebensgefährtin. Er konnte nichts tun, da er sturzbetrunken war. Hilflos saß er da und sah, wie sie ermordet wurde.«
Jonny meinte höhnisch:
»Diese Variante ist neu. Was hat er außerdem für einen absurden Namen?«
»Sten Schölenhielm? Vor dreiundzwanzig Jahren angenommen. Er wurde als Sten Svensson geboren. Ein Name, der fast adlig klingt, ist bei Gebrauchtwagengeschäften sicher nicht fehl am Platz.«
»Jetzt wollen wir uns nicht weiter um den Gebrauchtwagenhändler und sein polnisches Flittchen kümmern. Birgitta, du sorgst dafür, dass jemand anderes diese Ermittlung übernimmt. Vielleicht Thomas Molander … Was ist denn?«
Birgitta war vollkommen erstarrt und sah Andersson durchdringend an. Eiskalt sagte sie mit leiser Stimme:
»Wie willst du das wissen?«
»Wie? Was?«
»Wie willst du wissen, dass sie ein Flittchen war?«
Andersson sah Birgitta verwundert an.
»Das wissen doch alle, wie sich diese Mädchen aufführen!«, zischte er.
»Wie denn?«, fuhr Birgitta mit Unheil verkündender Stimme fort.
»Hängen in Bars rum und reißen Touristen auf. Dann erwischen sie einen reichen Ausländer und sehen ihre Chance, von der Straße und ihrem grauen Leben wegzukommen.«
»Und alle sind so?«
»Vielleicht nicht alle, aber die meisten.«
»Und du weißt, dass Maria Jacobinski ein Flittchen war?«
»Jaa … Nein. Aber das weiß man doch …«
Birgitta und Andersson starrten sich an wie zwei Kampfhähne. Jeden Augenblick konnte einer der beiden explodieren. Irene wusste, was hinter dieser Auseinandersetzung steckte. Eigentlich hatte der Streit nichts mit Anderssons gedankenloser Äußerung über Maria Jacobinski zu tun. Birgitta fühlte sich immer noch gekränkt und fand, dass Andersson Hans Borg nicht ausreichend bestraft hatte. Sie wollte Borgs Kopf auf einem Teller serviert sehen. Aber Andersson verstand Birgittas unter der Oberfläche brodelnde Rachegelüste nicht. Er war der Ansicht, die Sache elegant gelöst zu haben, indem er Borg durch Hannu Rauhala ersetzt hatte. Kein Gerede und keine Artikel in den Zeitungen über Mobbing bei der Polizei.
Irene begriff, dass Birgitta nichts erreichen würde. Sie konnte nicht gewinnen. Vielleicht sah Birgitta das auch selbst ein, denn sie beendete, wenn auch noch tiefernst, das Ganze mit folgenden Worten:
»Die meisten kommen her, weil man ihnen die Ehe versprochen hat, nur um sich als Sexsklavinnen in einem fremden Land wieder zu finden. Die Schmach der Rückkehr ist zu groß. Und wenn sie zurückkehren, dann bleibt ihnen meist nur die Prostitution. Auch wenn Maria Jacobinski in Polen Prostituierte gewesen ist, finde ich, dass sie einen Anspruch auf Gerechtigkeit hat.«
»Von etwas anderem war auch nie die Rede!«, explodierte Andersson.
Er warf ihr einen ziemlich ungnädigen Blick zu, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie zu weit gegangen war.
»Zum Teufel mit Thomas Molander. Du setzt die Ermittlungen selbst fort«, sagte er schroff.
Birgitta sah ihn verständnislos an.
»Du kannst gehen und in der Sache des Gebrauchtwagenhändlers und der Polin weiterermitteln«, verdeutlichte Andersson und nickte in Richtung Tür.
Schweigend und verbittert stand Birgitta auf und raffte ihre Papiere zusammen. Ohne einen Blick zurück, ging sie kerzengerade aus dem Zimmer.
Betretenes Schweigen breitete sich im Raum aus.
Schließlich wurde es von Jonny gebrochen:
»Die hat wirklich Haare auf den Zähnen!«
Er tauschte mit Andersson einen Blick männlicher Eintracht. Irene musste sich in die Wange beißen, um nicht herauszuplatzen. Wie gesagt, dieser
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