Der zweite Tod
Stockholm, wahrscheinlich Peterssons Konto, und: »Serverpasswort, Stand: 22. Nov.«
Besser schien man es nicht haben zu können.
Sie starrten auf das, was auf die Überschrift folgte. Durch die Entdeckung hatten sie nicht gerade viel gewonnen. Das Passwort selbst war ein Block aus fremdartigen Zeichen, ein Gitter aus fünfzig mal fünf Zeichen, wie sich nach dem Abzählen herausstellte. Es war eine handschriftliche Aufzeichnung, die man beim Fotokopieren verkleinert hatte.
»Weißt du, was das ist?«, fragte Kjell.
»Hieratisch«, antwortete sie. »Ich glaube, dass es Hieratisch ist.«
»Jetzt erstaunst du mich aber.«
Sie versuchte, ihr Lächeln zu verbergen.
Kjell wusste, dass Sofi mit fünfzehn einen ganzen Sommer lang in Kairo gelebt hatte, mehr aber auch nicht. Sie war bei diesem Thema sehr verschwiegen. Kjell glaubte, dieser Sommer sei Sofis ganz persönlicher Schatz, den sie manchmal gerne aufblitzen ließ. Aber sie würde die Truhe nie ganz öffnen.
In ihrer Akte stand, dass sie fließend Arabisch sprach.
»Kannst du etwas lesen?«, fragte er.
»Nein, ich erkenne nur, dass es altägyptische Schreibschrift ist. Lesen kann ich das nicht.«
Die Zeichen des Gitters waren jedoch keine der üblichen Hieroglyphen, wie man sie auf Tempelmauern fand, sondern eine Handschrift, mit der ägyptische Schreiber auf Papyrus zu schreiben pflegten.
Kjell wusste nur, dass man Jahre brauchte, um so etwas flüssig lesen zu können. »Wir könnten natürlich eine Zeichenliste heranziehen. Dann können wir die Zeichen vielleicht transkribieren.«
»Aber es gibt dabei immer noch ein großes Problem. Ich habe hier eine westliche Tastatur, und der Server erwartet eine Eingabe, die aus lateinischen Buchstaben und Zahlen besteht.«
»Man kann das nicht so eindeutig übertragen?«
»Es existieren so viele Umschriftsysteme. Deutsch, englisch, französisch. Und dann gibt es da noch ein anderes Problem. Das Gitter hat fünfzig Zeilen mit jeweils fünf Zeichen, also 250 Zeichen, aber man kann nur fünfundvierzig Stellen eingeben.«
Sie entschieden sich, die Lösung dieses Problems zu vertagen. Sofi verschaffte sich einen flüchtigen Überblick über den Inhalt des Computers. Einige Dokumente lagen auf der Festplatte, auf den ersten Blick handelte es sich um wissenschaftliche Aufsätze und Notizen.
»Der Server steht auf jeden Fall im Nahen Osten. Die Nummernadresse deutet auf Ägypten hin.«
Er trat zwei Schritte zurück und betrachtete den Tisch, den Computer, Sofis Hinterkopf und ihren Rücken. »Kannst du die Festplatte kopieren? Wir lassen alles so stehen, in dieser Umgebung und Anordnung. Hier stimmt irgendetwas nicht.«
4
Kjell und Sofi trafen um kurz vor sieben und lange vor der Dämmerung im Polizeigebäude in der Polhemsgatan in Kungsholmen ein. Nur wenige Fenster waren um diese Zeit schon erleuchtet, doch nachdem sie die Sicherheitstür zu ihrem Büro passiert hatten, sahen sie ihre beiden Kollegen bereits bei der Arbeit. Barbro arbeitete schon seit einer Stunde. Henning war erst vor wenigen Minuten angekommen. Er wohnte weit im Süden der Stadt in Huddinge und hatte deshalb die ersten beiden Stunden nach Sofis Weckruf auf der Schnellstraße im Schneegestöber verbracht.
Wie immer begannen sie den Arbeitstag mit der Morgenandacht. So nannte Barbro die Frühbesprechung. Henning sagte meist nur »Kaffee« dazu, wenn er überhaupt sprach. Die Taktische war eine von drei Sonderermittlungsgruppen der Reichsmordkommission, die die Reichspolizeileitung vor kurzem gebildet hatte. Die Gruppen hatten jeweils eigene Schwerpunkte, in der Hierarchie standen sie nicht nur über allen anderen Kommissionen, sondern auch über den lokalen Polizeieinheiten im ganzen Land. Die taktische Gruppe von Kommissar Kjell Cederström beschäftigte sich mit besonderen Gewaltverbrechen. Sie zeichneten sich nicht durch ihre Brutalität aus, sondern durch die Komplexität der Ermittlung und die schwierige Beweisführung. Da musste man taktisch ans Werk gehen, daher der Name. Der größte Teil der Fälle waren Nachermittlungen, bei denen die Gruppe erfolglos abgeschlossene Hauptermittlungen der regulären Kommissionen aufnahm. Der Auftrag kam in der Regel vom Generalankläger oder dem Justizkanzler, zu einem früheren Zeitpunkt auch von der Reichskriminalleitung selbst.
Das Polizeigebäude, den Sitz zahlreicher Polizeiinstitutionen, bildete eine Vielzahl von Gebäuden mit unterschiedlichem Baujahr und Aussehen. Sie hatten miteinander nur
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