Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
Vom Netzwerk:
abwesend, er war in den Inhalt versunken und verschwand ohne ein Wort in das Konferenzzimmer. Dort setzte er sich in einen der Sessel und blätterte den Haufen durch. Weit hinten fand er etwas, das ihm bekannt vorkam. Eine Expertise zu einem ägyptischen Sarg. Er stammte aus der 18. Dynastie, also musste er etwa 3500 Jahre alt sein. In dem Text wurde von einem »schwarzen Sarg« gesprochen. Wenn man der Expertise glaubte, war das eine Rarität. Solche Särge hatten die Ägypter nur in der kurzen Zeit zwischen den Königen Thutmosis III. und Tutanchamun hergestellt. Besonders war anscheinend auch der Erhaltungszustand, das Ensemble bestand aus drei ineinander geschachtelten Särgen. In dem Text wimmelte es von ägyptischen Namen, und Kjell konnte auf den ersten Blick nicht feststellen, wer nun in dem Sarg gelegen hatte und wer nur die Großnichte des Verstorbenen gewesen war. Nur der Name Senmut kam ihm bekannt vor. War das nicht der Architekt von Hatschepsut gewesen, dem sie in Fernsehreportagen immer eine Liebesaffäre mit der Königin andichteten?
    Die Beschreibung war weniger ein Echtheitszertifikat als eine kunstgeschichtliche oder archäologische Beschreibung. Den Namen des Unterzeichnenden hatte er noch nie zuvor gehört. Ein gewisser Alain Pertuissot. Er war Professor an einer südfranzösischen Universität. Das Schreiben war auf Französisch verfasst, und zwar in Kairo am 19. September dieses Jahres. Kjell konnte sich an den Text gut erinnern. Es gab ihn in Peterssons Wohnung zweimal, einmal als eine der wenigen Dateien auf Peterssons Computer und ein andermal als handschriftlichen Entwurf auf einem Papier, das Henning aus einem von Peterssons Ordnern gezogen hatte. Mit seinem fünfunddreißig Jahre zurückliegenden Schulfranzösisch hatte Henning mehrere Stunden lang im Wörterbuch das Wortungetüm »desertirougeoyant« nachgeschlagen, bevor er Kjell um Hilfe bat und hundert Kronen darauf setzen wollte, dass eine verrückte französische Verbform dahintersteckte. Kjell wusste, dass die Franzosen zwar verrückt waren, aber nicht so verrückt, dass sie Akzentstriche auf ein »s« setzten, und nahm die Wette gerne an. Eine Stunde später kam Sofi und fällte ein enttäuschendes Urteil: »Deserti« bedeutete auf Ägyptisch »rot geworden«, und »rougeoyant« war die französische Übersetzung dazu. Da aber beide Wörter verrückte Verbformen waren, hatte Henning keine Öre bezahlen müssen.
    Kjell rief Henning an. Er belagerte mit einem achtköpfigen Observationsteam die Einsame E mma, eine Södermalmer Kneipe mit arkadischem Flair, in der Fohlin seit über zwei Stunden saß. Von Fohlins Begleitern war der Polizei nur die junge Anwältin bekannt, von der sich Fohlin seit dem Verhör nicht mehr getrennt hatte.
    »Der rührt sich nicht«, sagte Henning. »Sieht nicht so als, als käme er nochmal da raus.«
    Henning litt doppelt, weniger weil Fohlin nicht herauskam, sondern weil Henning nicht hineinkonnte. Die Einsame Emma hatte Henning das ein oder andere Schichtende veredelt, als er noch schlecht verheiratet gewesen war und um die Ecke in der Mariawache in der Fatbursgatan gearbeitet hatte. In diesem Lokal war einst die Happy Hour erfunden worden, die hier freilich Mündung sfeuer hieß. Henning kauerte auf dem Beifahrersitz eines Zivilwagens und schmatzte unerlöst.
    Kjell las Henning die ersten Zeilen des Textes vor und fragte am Ende, ob er sich auch daran erinnern könne. Und tatsächlich glichen sich die Texte aufs Wundersamste. Die Funde in Peterssons Wohnung mussten beide Entwürfe oder frühere Fassungen sein. Was Kjell jetzt in den Händen hielt, konnte man getrost als Endergebnis betrachten, unterzeichnet von Professor Pertuissot, den es bestimmt gab, der aber wohl nicht ahnte, dass er dieses Dokument unterschrieben hatte. Bei Petersson dachte man sogleich an Fälschung. Aber bei der Expertise war er schlauer gewesen als damals bei den Tonscherben. Er hatte die französische Art, ein Dokument zu gestalten, perfekt nachgeahmt: ein wirres Gemisch aus verschiedenen Schriftschnitten, alles in zu großen Lettern, mindestens zwölf Punkt groß, die Anführungszeichen weit abgesetzt, um möglichst viel Verwirrung zu stiften, auf dem Kopf stehende Apostrophe. Das bewies, was für ein scharfes Auge Petersson gehabt hatte. Sicher war es eine Qual für ihn gewesen, es so gekonnt stümperhaft aussehen zu lassen. Seit der Tonscherbe hatte er viel dazugelernt.
    In dem ganzen Stapel tauchte Carl Peterssons Name kein

Weitere Kostenlose Bücher