Der zweite Tod
schmerzhaft, und der Stoß hat dem Nervensystem argen Schaden zugefügt. Ich gehe davon aus, dass Petersson von der Einstichstelle abwärts gelähmt war. Vielleicht sogar bis zum Hals.«
»Wie schmerzhaft ist das?«
»Die Lähmung war sein Glück, sonst hätte man seine Schreie noch in Göteborg gehört. Der Stoß an sich war nicht sehr kräftig.«
»Das war jetzt der erste Teil?«
Hans nickte. »Insgesamt ist die Wunde achtzehn Zentimeter tief, so tief wie die Klinge. Sie wurde erst bewegt und dann mit einem viel kräftigeren Stoß wieder hineingerammt. Dadurch ist er gestorben. Und zwar sofort.«
»Wäre er sonst nicht gestorben?«
»Das wäre er auf jeden Fall, aber erst später. Noch später wäre er dann an einem Herzinfarkt gestorben.«
Kjell kratzte sich am Kopf.
»Wir haben ein junges Mädchen in Verdacht. Kann sie ihm den Stoß versetzt haben?«
»Dazu kann ich dir nicht viel sagen. Ein schwaches Mädchen hätte den ersten Stoß ausführen können. Dass die Spitze in die Wirbelsäule vorgedrungen ist, lag weniger an der ausgeübten Kraft als vielmehr an der gebeugten Haltung beim Sitzen.«
»Und der zweite Stoß?«
»Der ist gar nicht so interessant. Um die Spitze überhaupt aus den Wirbeln lösen zu können, muss man kräftig und entschlossen sein. Der zweite Stoß verfehlte die Wirbelsäule knapp und hat gar nicht so viel Kraft erfordert. Er durchbohrte die Lunge.«
Am Mittag traf sich Sofi mit dem Ägyptologen Sven Flemming. Er arbeitete in einem anderen Institut, das aber ganz in der Nähe lag. Gestern hatte ihr Jan Nyberg empfohlen, mit seinem Kollegen zu sprechen, wenn sie in Uppsala war.
Flemming stellte sich in jeder Hinsicht als interessant heraus. Er war höchstens dreißig, und Sofi konnte sich gar nicht vorstellen, wie er es geschafft hatte, in seinem kurzen Leben in dem kleinen Büro solch eine Unordnung anzurichten. Für Sofi begann jeder Bürotag mit dem blauen Lappen. Damit wischte sie zuerst ihren Schreibtisch ab, bevor sie beginnen konnte. Meist war sie die Erste, und dann wischte sie auch Kjells Tischplatte ab, vor allem aus Freundschaft, aber auch, damit nichts herüberwehen konnte. Der Ägyptologe Sven Flemming konnte seinen Schreibtisch gar nicht abwischen, beim besten Willen war das unmöglich. Dazu hätte er ihn erst abräumen müssen, doch es gab keinen Ort, wohin er all die Stapel aus Papier hätte räumen können. Das Büro hatte ein Fenster, das bis zu der hohen Decke reichte.
Flemming befasste sich mit besonders kryptischen Texten, solchen, die mit Absicht schwer lesbar niedergeschrieben worden waren. Dies war nach seiner Erklärung für die Ägypter untypisch.
»Laien glauben das zwar«, erklärte er, während er nach einem Ort für Sofis Mantel suchte und ihn dann über einen hohen Stapel Bücher warf. »Dass es sich um eine Geheimschrift handelt. Aber das Gegenteil ist wahr. Erst ganz spät, wenn man schon gar nicht mehr richtig vom alten Ägypten sprechen kann, also zur Zeit der Griechen und Römer, hat es sich so entwickelt. Vor zweihundert Jahren kannte man vor allem Schriftzeugnisse aus dieser Zeit, und so ist unsere moderne Vorstellung über die rätselhaften Ägypter entstanden.«
Flemming begutachtete das Zeichengitter, entdeckte darin jedoch nichts, was ihm bekannt vorkam. Er bat Sofi, sich den Nachmittag über damit beschäftigen zu dürfen.
»Sollen wir heute Abend essen gehen?«, fragte er. »Dann kann ich dir erzählen, was ich herausgefunden habe.«
Sofi sah ihn an. Ihre Antwort ließ einen Moment auf sich warten, denn in der Frage hatte noch etwas anderes mitgeschwungen. Sie nickte, aber sagen wollte sie nichts.
Sie verabredeten sich für acht Uhr in einem Lokal in der Innenstadt. Man konnte eigentlich nicht mehr von »Mitschwingen« reden, fand sie, als sie mit dem Mantel unter dem Arm durch die Gänge lief und nach einem Ausgang suchte.
Sofi kehrte zu Peterssons ehemaligem Institut zurück. Inzwischen hatte die Hilfskraft eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten herausgesucht. Darunter waren mehrere von einer gewissen Kajsa Björklund. Sofi ging die Personalliste des Instituts durch und entdeckte, dass Kajsa Björklund nach ihrer Studienzeit noch ein Jahr lang am Institut gearbeitet hatte. Dann war ihr Vertrag fristgemäß ausgelaufen. Ein Jahr vor Peterssons Rücktritt hatte sie ihr Studium bei ihm abgeschlossen. Kurz nachdem Petersson die Universität verlassen hatte, war auch sie weggegangen. Vier Jahre zuvor hatte es eine
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