Der zweite Tod
andere Assistentin und vor dieser noch eine weitere gegeben. Und die war anscheinend die allererste gewesen. Sie alle hatten nach dem Studium eine auf zwei Jahre befristete Assistentenstelle gehabt.
»Ich kenne die früheren Assistenten nicht mehr«, bemerkte Tivéus zu Kajsa Björklund und den anderen Namen. »Sie haben damals eine Reihe von Artikeln verfasst. Es wird wohl so gewesen sein, dass sie die Arbeit gemacht haben, dann aber Peterssons Name über dem Artikel stand. Das kommt oft vor.«
»Aber dann taucht sie genauso ab wie Petersson.«
»Das ist normal. Nach der Assistentenzeit wechseln sie oft die Universität, aber manche bleiben auch und erwerben hier einen höheren Abschluss.«
»Aber die Namen der ersten Assistentinnen gibt es später auch noch. Sie haben weiterhin Artikel veröffentlicht. Nur Kajsa Björklund scheint mit Ende ihres Vertrages wie vom Erdboden verschluckt zu sein.«
»Was ja bei einem Archäologen kein schlechtes Zeichen sein muss!« Tivéus lachte über sich selbst. »Nicht jeder Student wird später Wissenschaftler. Normalerweise gründen sie eine Familie, nehmen einen Beruf an oder sind Hausfrauen oder -männer. In ihrem Fall ist das schade, weil die Artikel von damals sehr gelungen sind.«
»Wenn sie noch als Orientalistin arbeiten würde, wüsstest du davon, oder?«
»Nicht unbedingt. Sie kann ein anderes Fachgebiet haben. Ich jedenfalls habe ein schlechtes Namens- und Hochzeitstagsgedächtnis. Aber dass sie in den Publikationskatalogen nicht mehr auftaucht, kann man schon als sicheres Zeichen sehen. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, wenn man nichts veröffentlicht, vor allem bei Anfängern.«
Soft dachte über Kajsa Björklund nach. Bei der Entzifferung des Passwortes konnte sie ihr wohl nicht helfen, denn Kajsas Artikel beschäftigten sich mit Mesopotamien. Soweit Sofi das beurteilen konnte, hatte sich Kajsa nie mit ägyptischen Hieroglyphen beschäftigt. Aber kaum ein anderer Mensch dürfte über Peterssons Denkweise so gut Bescheid wissen wie sie. Sie war seine letzte Assistentin gewesen, und zwar zu der Zeit, als er zurücktrat. Sie musste alles mitbekommen haben.
Sofi suchte im Personenregister nach Kajsas aktueller Adresse. Ihre Befürchtung, dass Kajsa inzwischen gestorben sein konnte, bewahrheitete sich zum Glück nicht. Sie wohnte nun an der Küste in der Nähe von Norrtälje. Tivéus hatte Recht. Kajsa hatte geheiratet und zwei Kinder zur Welt gebracht, die jetzt vier und acht Jahre alt waren.
Kurzerhand setzte sich Sofi ins Auto und fuhr die achtzig Kilometer zur Küste. Hinter Norrtälje wurde die Fahrt beschwerlich. Für die fünfzehn Kilometer ins winzige Södersvik brauchte sie eine halbe Stunde. Die Verbindungsstraße führte am Ufer entlang. Der Meereswind trieb Schneewehen über die vereiste Fahrbahn. Einmal musste sie anhalten und aussteigen, weil sie durch die Scheibe den Rand der Straße nicht mehr erkennen konnte.
Sofi hatte ihren Besuch telefonisch angekündigt. Kajsa war zu Hause und erklärte sich einverstanden, mit Sofi zu sprechen, aber ihre Stimme klang reserviert.
Dann saß Sofi mit feuchten Haarspitzen auf einer schokoladenbraunen Eckcouch. Die Sitzfläche war so riesig, dass schon der Anblick müde machte. Wenn sie sich anlehnte, pendelten ihre Füße in der Luft. Sofi hatte ihre gesamte Säuglingszeit Anfang der Achzigerjahre auf ebenso einer Couch – wie man Sofas damals nannte – verbracht. Sie konnte auch nicht ausschließen, dass es sich um genau diese handelte. Die beiden Seiten der Couch waren je drei Meter lang. Übers Eck saßen Kajsa und ihr Mann Lasse. Er war Lehrer und hatte heute seinen freien Nachmittag. Kajsa war jetzt siebenunddreißig und trug ihr dickes dunkelblondes Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Sofi fand sie sinnlich. Ihr Mann war ein vom Küstenwind gegerbtes Muttersöhnchen. Sein struppiger Mehrtagebart erinnerte Sofi an die Schale einer Kokosnuss. Im Supermarkt streichelte sie manchmal die Kokosnüsse und die Kiwis. Diesen Eindruck riefen aber vielleicht auch die Kokosmakronen hervor, die es zum Pfefferminztee gab.
Sie sprachen über Kajsas Jahre als Wissenschaftlerin, die sie nun nicht mehr war. Sofi bekam dabei den Eindruck, dass Kajsa ihrem Mann eine bestimmte Version dieser Jahre serviert hatte. Kennengelernt hatte sie Lasse bereits in dem Jahr, bevor sie die Universität verließ. Wie alle, die akademisch mit Petersson zu tun gehabt hatten, reagierte Kajsa reserviert auf die Nachricht seines Todes.
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