Der zweite Tod
herausragen konnte. Wenn du mich fragst, war der Grund für die Anschuldigungen vor allem Neid.«
Am späten Nachmittag rief Sofi die Kollegen im Büro an. Barbro saß in der Ecke von Kjells Büro in seinem Sessel. Das war ein Platz, den sie an ereignisloseren Tagen ohne Abschlussbesprechung gerne von fünf Uhr an für eine halbe Stunde einnahm. Von dort hörte sie nun über den Lautsprecher mit, wie Sofi Kjell die Ergebnisse ihres Besuchs in Uppsala und Norrtälje berichtete. »Die Ergebnisse vom Ägyptologen erfahre ich erst am Abend«, berichtete Sofi. »Flemming hat mich zum Essen eingeladen.«
Barbro hielt sich die Hand vor den Mund und rang um Fassung. Auch Kjell wusste nicht, wie er diese Nachricht in sein Bild von Sofi einordnen sollte. Sollte dies das erste Lebenszeichen von Sofis Liebesleben sein? Die nächste halbe Stunde verging damit, dass sie sich über Sofis Rendezvous den Kopf zerbrachen und Szenarien entwickelten.
»Irgendwann muss das Mädchen doch auch mal essen«, sagte Henning, den solche Themen nervten.
»It’s heaven if you find romance on your menu«, sang Barbro. Sie war Mezzosopran.
Sofis Liebesleben war noch einen Tick geheimnisvoller als der Diskos von Phaistos und drehte sich auf sehr ähnliche Weise im Kreis. Als sie vor acht Monaten bei der Gruppe begonnen hatte, war sie unzweifelhaft ein bisschen in Kjell verliebt gewesen. Das hatte er durchaus bemerkt, wenn auch mit der für Männer üblichen Verspätung von zwei bis sechs Monaten. So ging es bis zum Sommer. Kjell konnte natürlich nicht eine junge Frau in die führende Ermittlungsgruppe der RKP befördern, obwohl sie dafür um zehn bis zwanzig Jahre zu jung war, und dann auch noch ein Verhältnis mit ihr beginnen. Zwar war Ida vor zehn Jahren auch erst zweiundzwanzig gewesen, aber sie war weder seine Untergebene gewesen noch hatte er sich dagegen wehren können.
Bis vor drei Monaten hatte die Meinung geherrscht, dass Sofi durchaus an Männern interessiert sei, aber zu schüchtern und vielleicht sogar ein wenig verklemmt. Dann war Maja auf den Plan getreten. Sofi und Maja hatten sich erst im Sommer kennengelernt. Seit dem Herbst gingen die vier oft nach der Arbeit in Majas Bar, die sie zusammen mit zwei Männern betrieb und wo jetzt auch Lindas Bilder hingen. Jedes Mal, wenn sie dort waren, hatte Maja einen anderen Partner. Als dann herauskam, dass jeder zweite Partner von Maja eine Frau war, spaltete sich Barbro in ihrer Meinung von Kjell ab und gründete eine eigene Denkschule. Seither vertrat sie die Ansicht, dass Sofi ihrer Freundin nicht unähnlich war, nur ohne Gelegenheit.
14
Inspektorin Snæfríður Jómundardóttir stürzte den langen Gang im sechsten Stock des Vordergebäudes entlang. Keuchend steckte sie ihre Magnetkarte in den Leser an der Glastür, hinter der die Räume der Cederström-Gruppe lagen. Sechs Uhr vier! Vier Minuten zu spät. Als sie dann die Tür zum Besprechungsraum aufstieß, bekam sie, was sie befürchtet hatte. Drei schwedische Augenpaare blickten sie betreten an, aber niemand sagte etwas. Vier Minuten zu spät, in Schweden eine Ewigkeit. Nur vier Minuten zu früh war schlimmer. Die Schweden rückten sich auf den Stühlen zurecht und räusperten sich unmerklich.
Sie bat um Verzeihung und betonte das Wort absichtlich falsch auf der ersten Silbe, um den Isländerbonus auszukosten. Die Schweden und ihre verdammten Besprechungen.
»Wir haben Mari Svahns Telefon in ihrem Zimmer gefunden«, begann Barbro. »Wir brauchen den DNA-Vergleich nicht mehr abzuwarten. Mari Svahn hat Petersson gekannt, sie haben regelmäßig miteinander telefoniert. Seit dem Tod des Vaters hat sie das Telefon jedoch nicht mehr benutzt. Auch sonst finden wir einige schriftliche Hinweise auf ihn in dem Haus, aber über das Verhältnis der beiden zueinander geben sie keine Auskunft.«
»Wir müssen sie bald finden«, meinte Kjell. »Sie war wohl der Mensch, der Petersson am nächsten stand. Deshalb ist es vernünftig anzunehmen, dass sie als Täterin in Frage kommt. In jedem Fall brauchen wir sie. Falls sie wirklich die Täterin ist, hat sie fast drei Tage Vorsprung, genug Zeit, um einmal um die Welt zu reisen.« Kjell blickte auffordernd zu Snæfríður.
»Ihr Bankkonto ist stark belastet«, berichtete sie. »Wenn ihr keine anderen Geldquellen zur Verfügung standen, wird sie nicht weit gekommen sein. Das Haus ist erst zur Hälfte abbezahlt. Der Vater wurde vor drei Jahren arbeitsunfähig, aber bereits damals war die
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