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Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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der Küchenplatte. Eine davon war umgekippt. Das war Sofis Proviant.
    Linda bemerkte winzige hektische Bewegungen bei Sofi. So war sie, wenn sie gereizt war. Richtig unangenehm wurde sie nie.
    »Darfst alles anfassen«, sagte Sofi, die offenbar gerade eine Pause einlegte.
    »Kann ich ein bisschen bleiben?«, fragte Linda.
    Sofi prüfte sie mit neugierigem Blick. Ihre dunklen Augen funkelten. Wortlos schlurfte Sofi in das Arbeitszimmer zurück. Linda folgte ihr in angemessenem Abstand. Als sie das Zimmer betrat, saß Sofi bereits am Schreibtisch und reagierte auf Lindas fragenden Blick mit einem Schulterzucken und einem Seufzer. Sie ließ die Handflächen auf ihre Schenkel fallen.
    Vor ihr waren drei Computer aufgebaut. Papiere bedeckten den Boden um den Schreibtisch herum wie bei einem Dichter, der vor seiner Schreibmaschine sitzt und den ersten Satz nicht findet. Hinter dem Schreibtisch lag ein zusammengerollter Schlafsack.
    »Ich bin am Ende.« Sofi lachte bitter.
    Linda beugte sich hinab und hob eines der Blätter auf und noch ein zweites. Alle Blätter waren gleich bedruckt.
    »Das ist das Passwortgitter«, erklärte Sofi.
    Auf den Blättern hatte Sofi Kringel und Linien eingezeichnet. Darin unterschied sich ein Blatt vom anderen.
    Auf dem Schreibtisch klingelte Sofis Telefon. Sie hob ab und sprach einige Minuten lang mit dem Anrufer. Sie klang heiter und sogar ein wenig albern. Linda vermutete, dass Sofi in den nächsten Minuten noch alberner werden wollte und sich nur ihretwegen zurückhielt. Sie kehrte in den langen Korridor zurück, streifte an den Regalen entlang und fuhr mit den Fingerspitzen über die geprägten Rückentitel. Hin und wieder zog sie ein Buch heraus und blätterte darin. Sie hatte es auf exotische Schriftzeichen abgesehen und erwischte ein Handbuch der Sanskritsprache. Linda pustete erwartungsvoll den Staub vom Schnitt, schlug es auf und begann zu blättern. Die Schriftzeichen hingen an einer geraden waagerechten Linie wie Wäsche, die an einer Leine im Wind flattert. Das Buch stammte aus dem Jahr 1892. Linda beugte sich über die Seiten und schnupperte daran, um herauszufinden, wie das Jahr 1892 gerochen hatte. Sie hatte Lust, ihren Namen schreiben zu lernen, und ging ins Arbeitszimmer zurück. Sofi hatte ihre Füße gegen die Schreibtischplatte gestemmt und die Knie zur Brust gezogen. Linda hatte Sofi noch nie kichern hören.
    »Kann ich was zu schreiben haben?«, flüsterte Linda.
    Sofi machte eine ausbreitende Geste. Linda schnappte sich zwei Stifte vom Schreibtisch und las einige von den Blättern am Boden auf. Damit ließ sie sich an dem Esstisch am anderen Ende der Wohnung nieder.
    Sie betrachtete erst für einen Moment die bedruckte Seite des Papiers und wendete es dann auf die Rückseite, um darauf zu schreiben. Vorne im Buch wurde die Schrift erklärt, mit der Sanskrit geschrieben wurde. Es war eine Silbenschrift, die Nagari hieß. Sie suchte das Zeichen für ›li‹ aus der Liste. Es sah aus wie ein Herzchen, das ›n‹ wie ein Pfeil. Oder wie ein dickes Hinterteil und das ›n‹ ein Phallus, dachte sie. Ihr wurde warm. Sie fand auch ›da‹ und hatte damit alle Silben ihres Namens schneller zusammen, als sie erwartet hatte. Sie schrieb noch die Namen von Sofi, Kjell, Cissi und Vivian und am Ende den von John. Dabei gab sie sich am meisten Mühe. Es sollte besonders hübsch aussehen.
    Danach suchte sie sich eine andere Sprache. Sie begann mit Sumerisch, aber die Keilschrift war kompliziert und langweilig. Weil sie ihren Namen nicht zusammenbekam, blätterte sie weiter in dem Buch und entdeckte den Satz i-zah-ed-na-a. Das bedeutete »Lass mich sterben, wenn ich noch einmal weglaufe.« Linda seufzte. Ausgerechnet diesen Satz hatte sie in dem dreihundert Seiten dicken Buch erwischen müssen. Sumerisch sah sehr schwierig aus. Sie blätterte noch ein wenig weiter. Als sie auf die Zahlwörter stieß, zählte sie laut los: disch, min, esch, limmu, ia, asch …
    Sie stockte. Limmu?
    Das hatte sie doch gerade erst gesehen. Sie drehte das Blatt um und überflog die fünfzig Zeilen des Passwortgitters. In der neunzehnten Zeichenreihe des Musters stand l-i-m-m-u/w . Im Buch gab es aber nur zehn Zahlwörter. Das war auch in anderen Sprachen, die sie kannte, nicht anders. Jenseits der Zehn oder der Zwölf setzte man die Zahlen ja zusammen. Dreizehn, vierzehn, fünfzehn. Obwohl man im Französischen erst bei siebzehn Zusammensetzungen benutzte. Aber keine Sprache der Welt hatte wohl einen

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