Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
Vom Netzwerk:
eigenen Namen für dreiundvierzig. Elf, Zwölf, Pelle, Kalle, Vichan, Snodde, Lasse, Kicki, Ulla, zwanzig.
    Keine der fünfzig Zeilen glich jedoch einer anderen. Das konnten ja nicht alles sumerische Zahlen sein. Also war es Zufall. Linda ging dennoch alle Reihen durch und stieß auf einen weiteren Zufall. Zeile 43 hieß D-I-SCH-(N)-(N). Disch war das sumerische Wort für eins.
    Sie rannte zu Sofi und wollte wissen, was die Klammern bedeuteten. Sofi hielt ihre Hand auf den Hörer. »Null oder nichts . Oder eine Leerstelle. Oder ein Operator. Weißt du, was ein Operator ist?«
    Linda sah sie schweigend an. Wenn sie etwas nicht wusste, dann sah man das immer gleich. Sofi widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Telefon.
    Linda ging ins Wohnzimmer zurück. Leider fand sie keine weiteren sumerischen Zahlen in dem Gitter. Sie nahm das Sanskritbuch und stieß auf eine Ähnlichkeit. Fünf hieß auf Sanskrit catur, und auf dem Blatt fand sie immerhin TSCH-A-T-U-R. Nun begann sie, hinter die Reihen jeweils die Zahl zu schreiben und gab auch die Seitenzahl mit an, wo sie sie gefunden hatte. Sie war schließlich Philologentochter.
    Eine Stunde später stapelten sich die Bücher auf dem Tisch. Auf dem Blatt stand nun hinter den meisten Reihen eine Zahl. Oft klangen die Wörter ähnlich, waren aber nicht völlig identisch. Papa ließ sich wie andere Leute seines Schlags immer wieder gerne dazu herab, seine Tochter zwischen Bad und Küche mit kurzen Vorträgen zu beglücken. Deshalb wusste Linda, dass man in der Antike manchmal bei jedem Zeilenwechsel die Schreibrichtung änderte. Linda hatte sich das sofort gemerkt, weil es für faule Menschen wie sie eine sehr bequeme Art zu schreiben war. Und das war auch hier der Fall. Jede zweite Zeile musste von rechts nach links gelesen werden. Aus jeder Sprache gab es nur zwei, drei Zeilen. Deren Namen hatte Linda in den meisten Fällen noch nie zuvor gehört.
    Schließlich stand sie wieder vor Sofi, die immer noch telefonierte. Jetzt saß sie dabei über den Tisch gebeugt und notierte etwas. Linda schnappte einige Sätze auf. Sofi sprach mit dem Anrufer über das Passwort.
    »Ich hab da was gefunden«, versuchte es Linda. Sofi hob kurz den Kopf. »Wegen des Passworts.«
    Sofi runzelte die Stirn und schenkte Linda ein Drittel ihrer Aufmerksamkeit.
    »Ich lasse es im Wohnzimmer liegen«, flüsterte Linda enttäuscht. »Vielleicht kannst du es dir später ansehen?«
    Sofi nickte.
    Lindas Euphorie schwand. Die fünftletzte Reihe hatte sie nicht herausbekommen. Sofi hatte so viele Versuche hinter sich, dass es dumm war zu glauben, ausgerechnet ihr könnte es geglückt sein. Sie schlüpfte in Jacke und Schuhe, winkte Sofi zum Abschied und verließ die Wohnung.

22
    Ida entspannte sich auf ihrem Bett. Dazu hatte sie gemäß der Anweisung ihres Therapeuten eine kleine Kerze auf dem Fensterbrett aufgestellt, die unruhig flackerte. Eine Kerze ist in Ordnung, hatte sie bei der letzten Sitzung gesagt. Aber verlang nicht, dass ich mich in die Badewanne lege und überall Teelichter aufstelle. Der Therapeut war lieber sofort einverstanden gewesen und schlug vor, beim nächsten Mal etwas Zeit von ihren Diskussionen über die erkenntnistheoretische Berechtigung der Psychologie abzuzweigen, um über das Thema Kompromissfähigkeit zu sprechen, und zwar ganz speziell über die Kompromissfähigkeit von Ida.
    Ida hing ihren Gedanken nach und ließ die Gedanken vorbeiziehen. Als es an der Tür klingelte, döste sie schon. Sie setzte sich auf und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Der Wecker zeigte sechs Uhr an. Kjell wollte nicht vor acht kommen. Dennoch. Sie sprang aus dem Bett und ordnete in aller Eile ihre Haare vor dem Spiegel im Flur. Dann riss sie die Tür auf.
    Im Treppenhaus stand Patrik Nygren und lehnte sich mit ausgestrecktem Arm gegen den Pfosten ihrer Tür.
    »Ida«, sagte Patrik Nygren.
    Von oben hallten heftige Schritte durchs Treppenhaus. Ida sah Patrik erwartungsvoll an. Die Schritte kamen näher.
    »Ich bin dabei, die alte Wohnung aufzulösen und brauche den Schlüssel.«
    »Welchen Schlüssel?«
    »Du hast noch einen Haustürschlüssel von mir.«
    »Patrik«, sagte sie fassungslos. »Das ist vier Jahre her. Du kommst wegen eines Schlüssels aus Göteborg?«
    Er nickte.
    »Hättest du nicht anrufen können?«
    »Es ist sehr wichtig.«
    Das war es also, was so wichtig war. In Ida begann es zu brodeln. Die Schritte von oben kamen immer näher. Ein Mädchen erschien auf der Treppe. In

Weitere Kostenlose Bücher