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Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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der Kehre, an der Idas Haustür lag, rauschte das Mädchen mit einem Schwung um die Kurve, wobei sie sich am Knauf des Treppengeländers festhielt.
    Sie ist es, dachte Ida. Das ist Linda. Ihre Blicke trafen sich.
    »Hast du ihn?«, fragte Patrik.
    Ida sah Linda durch die Haustür verschwinden. »Hast du meine E-Mail bekommen?«
    Patrik nickte.
    Ida wartete einen Augenblick, ob Patrik noch mehr zu sagen hatte. Er hatte ja gelesen, dass sie glaubte, er habe Aids. Dann wusste er auch, dass sie sich nicht nur um ihn, sondern auch um sich selbst und vielleicht eine Reihe anderer Menschen sorgen würde. In vier Jahren hätte Ida so viele Menschen infizieren können, wie in einer schwedischen Kleinstadt leben. Auf die E-Mail hatte er nicht mehr geantwortet.
    »Ich habe ihn bestimmt beim Umzug weggeworfen. Hier in der neuen Wohnung ist er jedenfalls nicht, Patrik.«
    Auf seinem Gesicht erschien eine genervte Miene. So kannte sie ihn. Es nervte ihn, dass Ida die Bedeutsamkeit seines Besuchs nicht erkannte. In der Wohnung klingelte das Telefon.
    »Mach’s gut«, verabschiedete sie sich und drückte ihm die Tür vor der Nase zu.
     
    Der Anrufer war Kjell. Sie erzählte ihm, was gerade passiert war. Er lachte laut.
    »Kannst du in der vierten Etage bei Petersson klingeln? Dann öffnet dir eine Dunkelhaarige. Sie wird verzweifelt aussehen. Du wirst ihr helfen können.«
    »Aha. Wobei kann ich helfen?«
    »Mathematik. Es wird dir Spaß machen.«
    »Okay. Aber erst muss ich den Schlüssel suchen. Und wegwerfen. Der liegt hier irgendwo rum.«
     
    Linda marschierte mit strammen Schritten zur U-Bahn-Station am Odenplan. Sie hätte zu Hause bleiben sollen. Der Boden war mit Eisplatten bedeckt. Immer wieder kam sie ins Rutschen und musste die Arme ausstrecken, um das Gleichgewicht zu halten. Sie erkannte ihn aus einer Entfernung von fünfzig Metern. Um dem kalten Wind zu entgehen, hatte John den Kragen seines Mantels aufgestellt und das Kinn zur Brust gezogen. Nachdem sie sich einander bis auf zehn Meter genähert hatten, bemerkte er sie.
    Sie sahen sich an. Er war erstaunt, sie schwieg. Gestern Morgen war sie aufgebrochen, nachdem er eingeschlafen war. Das machte sie jetzt stark. Er zog die Nase hoch, um seine Eigenständigkeit zu behaupten. Ihr Herz pochte wild. Er reichte ihr die Hand, die in einem Lederhandschuh steckte. Sie legte ihre nackte Hand hinein. So war es von Anfang an, dachte sie. Er war bedeckt, sie nackt.
    Seit Linda in der letzten Nacht zu zeichnen begonnen hatte, war kein Wort mehr zwischen ihnen gefallen. Schweigend zog er sie mit sich, schräg über die Straße in Richtung auf ein beleuchtetes Lokal. Sie folgte ihm mit einem halben Schritt Abstand durch die Tür. Der langgezogene Raum wölbte sich wie ein U-Bahn-Schacht. Die Menschen saßen in geometrischen Sesseln vor Tischen, die ihnen gerade bis zu den Knien reichten. Die Männer rauchten einheitlich Zigarren, die man an der Bar bekam. Alle waren älter als Linda und jünger als John. Linda hätte gerne erfahren, ob John das auch so gefiel wie ihr. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und sah ihr dann in die Augen. Linda hielt nach möglichen Bekannten Ausschau, die überall weitererzählen könnten, dass sie mit John Osborne hier war. Das wäre schön gewesen.
    Vor dem letzten freien Tisch ganz in der Mitte des Raumes half John ihr aus der Jacke und setzte sich ihr gegenüber. Um sie herum sprachen die Menschen mit gedämpfter Stimme. John bestellte zwei Kakao und einen Whisky. Er grinste dabei.
    Zuerst trank er von seinem Kakao und nahm im Anschluss einen Schluck Whisky. Linda fand, dass John hier der Einzige war, der mit einem Whisky nicht dämlich aussah, und beugte sich vor zu ihrem Kakao, trank auch und ließ sich danach wieder in den Sessel zurückfallen. Es war echter Kakao, nicht der O-Boy -Schnellkakao, den sie zum Frühstück trank. Er war ungesüßt und schmeckte bitter. Sie ließ John nicht aus den Augen. Er musterte sie weiter. Bestimmt überlegte er, ob er sie noch einmal mitnehmen sollte.
    Es erregte sie, wie er seinen Blick an ihr herunter- und wieder hinaufwandern ließ. Sie sprachen nicht. Das gefiel ihr, obwohl sie den Verdacht hatte, ihn nur dumm anzuschauen. Er beendete seine Inspektion mit einem Lächeln. Sie verstand, dass er sie herausfordern wollte, denn das wollte er immerzu. Unentschlossen in ihren Gesten griff sie nach seinem Whiskyglas und trank daraus. Eine schlagfertige Geste, fand sie im Nachhinein.
    Er schien auch

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