Der zweite Tod
beeindruckt zu sein. Sie lächelte spitzbübisch, und er musste erraten, woran ihn das erinnern sollte.
»Du kommst mit mir«, sagte er.
Sie folgte ihm.
Das lange Gespräch mit Sven konnte Sofi nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie so gut wie am Ende war. Sie war bereit aufzugeben. Um acht Uhr gab es keine Hoffnung mehr. Sie öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Die Luft war eisig und roch nach nichts.
Es gab noch viele Möglichkeiten, aber die besten hatte sie längst ausprobiert. Dabei war sie einmal drei, vier Schritte vorangekommen, aber nie weiter. Sie hasste Carl Petersson aus ganzem Herzen. Der Wind fuhr ins Zimmer und wirbelte einige der Papiere am Boden auf. Der Temperaturabfall ließ die Computer knistern. Sie schloss das Fenster und zog die schweren ockergelben Vorhänge zu. Erst als sie den Stoff berührte, fiel ihr auf, dass sie aus echter Seide waren. Sie hingen in allen Zimmern der Wohnung. Aber zugezogen wurden sie wohl nie. Sofi musste die Schärpe, die die Vorhänge zusammenhielt, mühsam aufknoten.
Als es klingelte, stürmte sie zur Tür. Bei einem Seitenblick in den Flurspiegel erschrak sie, denn sie steckte immer noch in dem weißen Sportanzug aus Frottee und sah wie ein Schneehase aus. Im Treppenhaus stand eine junge Frau. Sofi wich einen Schritt in den Flur zurück. Sie spürte den Drang, ihre Nase in das Haar der Frau zu tauchen, das fast silbern schimmerte. Aber ihre Augenbrauen waren dunkel. Sofis Verlegenheit dauerte nur kurz. Sie wollte mit den Handflächen über ihren Rock streichen, der aber leider im Badezimmer über dem Badewannenrand hing. Jetzt kam ihr der Verdacht, dass sie das oft tat, ohne es zu bemerken. Der Blick der Frau folgte ihren Händen. Schnell nahm sie sie hinter ihren Rücken.
»Ich soll mich hier melden«, behauptete die Blonde. Sie musste so alt sein wie sie. »Ida!«
»Hej!«
»Kjell Cederström schickt mich. Ich wohne da unten.« Sie deutete zum Aufzug.
Seufzend öffnete Sofi die Tür nun ganz. Ida trat in den Flur.
»Geht es um Mathematik?«, fragte Ida.
Sofi nickte.
»Wusstest du gar nicht, dass ich komme?«
Sofi schüttelte den Kopf. Ihr Körper war um die Kante der offenstehenden Tür geschlungen. Ihre Hände lagen innen auf der Klinke und außen am Knauf.
Ida stand steif mitten im Flur. Sofi schloss die Tür.
»Ich entziffere ein Passwort.«
Ida hob die Augenbrauen und auch die Fersen und wuchs dabei um zehn Zentimeter. Sofi führte sie ins Arbeitszimmer. Sie bot Ida den Platz auf dem Lesesessel an. Er war mit purpurnem Samt bezogen. Ida sah darin aus wie ein Schmuckstück in einer geöffneten Schatulle.
Sofi zeigte Ida ihre besten Versuche. Ida betrachtete die Aufzeichnungen, sah auf und seufzte. Ihr Gesicht wirkte fröhlich.
»Es kann auch keine graphische Programmiersprache sein«, kommentierte Sofi ihre Versuche. »Das kann ich mittlerweile ausschließen. Aber es muss ein Programm sein! Sieh dir das › N ‹ an, das dauernd vorkommt. Was soll es anderes sein als ein Operator?«
»Vielleicht ist es eine zweidimensionale Sprache. Der Quellcode besteht aus Hieroglyphen. Pressey hat so etwas Anfang der Neunziger erfunden, mit normalen Zeichen. Es würde gut zur Menge der Zeichen passen, die hier verwendet werden. Für ein Passwort ist es ideal, weil es schwer zu kompilieren ist. Wenn man es geschickt macht, ist es maschinell kaum zu knacken. Der Schlüssel muss hier irgendwo liegen.«
Sofi lachte auf. »Ich glaube nicht mehr an die Idee, das da mit Mathematik lösen zu können.«
»War das vorhin Linda?«, fragte Ida. »Da stürmte ein Mädchen durchs Treppenhaus.«
»Die mit den wilden Haaren?«
»Ja«, lachte Ida. »Die meine ich.«
Sofi nickte. »Das war sie. Man kann sie leicht erkennen. Sie war vorhin eine Weile hier und hat im Wohnzimmer etwas gezeichnet.«
»Ob ich es mal sehen darf?«
Sofi zuckte mit den Schultern. Sie gingen ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch lagen sechs hohe Stapel mit Büchern, dazwischen Papiere. Ida betrachtete das Chaos und ließ sich auf den Stuhl sinken. Sofi stellte sich dicht neben sie. Idas Haar roch nach Blumenwiese. Nach einer Minute drehte Ida den Kopf und sah schräg zu Sofi hoch.
Der Schlüssel, das war Linda. Ohne sie hätte Sofi noch hundertmal an den Büchern im Regal vorbeigehen können.
»Hast du es ausprobiert?«
Sofi schüttelte den Kopf. »Ich sehe es auch zum ersten Mal.«
Ida beugte sich vor und drehte einen der Bücherstapel herum, so dass man die Rückentitel
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