Der zweite Tod
Hennings unbesetztem Schreibtisch auf einer Kuscheldecke. »Ich habe versucht, Linda anzurufen, ob sie heute auf Emelie aufpassen kann. Bei dem Wetter hätten sie in den Zoo gehen können.«
»Sie kann nicht.«
»Ist was passiert?«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist nichts.«
»Sahlin ist vor zwei Stunden in Arlanda angekommen.«
»Wie? Angekommen?«
»Er ist ganz normal mit einer Maschine aus Tel Aviv gelandet. Der Zoll hat ihn festgehalten. Sie bringen ihn her.«
»Warum hat ihn denn in Israel niemand aufgehalten? Was sind denn das für verdammte Vollidioten dort?«
Barbro zuckte zusammen und starrte ihn fassungslos an.
Man überführte Robert Sahlin in kurzer Zeit nach Kungsholmen ins Präsidium. Er wartete im Verhörzimmer, als Kjell hereinkam und ihm die Hand entgegenstreckte. »Robert Sahlin?«
Sahlin nickte. Er war von schmächtiger Statur. Kjell war alles andere als ein Meister darin, Alter und Körpergröße anderer Menschen zu schätzen. Er selbst war einsneunundsiebzig, und wie alle Männer dieser Größe gab er einen Zentimeter drauf. Sahlin hingegen war gute anderthalb Köpfe kleiner als er.
»Du gibst uns Rätsel auf«, begann Kjell. Er stellte sich den kleinen Mann als Lehrer vor einer neunten Klasse vor. Bisher wusste Sahlin offenbar nichts von den Ereignissen in der Västmannagatan. Aber sein Blick war voll Ruhe und Gelassenheit. »Du kommst aus Israel?«, fragte Kjell.
Sahlin nickte.
»Was war der Grund für diese Reise?«
»Ich fahre jedes Jahr ans Tote Meer«, antwortete Sahlin. »Zur Kur.«
Seine Stimme klang unerwartet sonor. Mit ihr füllte er unaufdringlich den ganzen Raum. Auf einmal konnte Kjell ihn sich als Lehrer vorstellen.
»Geht es um etwas Politisches?«, fragte Sahlin.
»Weil es Israel ist? Nein. Es geht um deine Wohnung.« Sahlin sah ihn verständnislos an, aber von Unruhe war er weit entfernt. »Wann warst du zum letzten Mal in deiner Wohnung?«
»Ich bin von dort zum Flughafen gefahren.«
Kjell sah auf seine Notizen. »Das war am Mittwoch, dem 21. November?«
»Um zehn Uhr war ich am Flughafen, und um kurz vor zwölf hob ich ab.«
»Kennst du Carl Petersson?«
»Petersson?« Sahlin dachte nach. »Nur einen im Haus.«
»Den meine ich. Er ist am Montag darauf ermordet worden, mitten in der Nacht.«
»Herrje.« Sahlins Blick war ernst.
Kjell hatte den Eindruck, dass er Anteil nahm, obwohl er Sahlin durchaus glaubte, dass er ihn kaum kannte. Schrecken darüber, dass Tür an Tür ein Mord geschehen war, fand er nicht bei Sahlin.
»Du warst also zur Kur?«
Sahlin reckte wieder den Kopf. »Neurodermitis, im Sommer Island, wegen des Schwefels. Im Winter fahre ich zum Toten Meer.«
»Das war also der einzige Grund für diese Reise?«
Sahlin nickte.
»Hat jemand einen Schlüssel zu deiner Wohnung?«
»Meine Mutter bis zu ihrem Tod. Aber das ist schon lange her.«
»Der Grund für unsere Suche nach dir ist einfach. Der Anruf bei der Polizei kam von dem Telefon in deiner Wohnung.«
Auf Sahlins Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Tatsächlich? In meiner Wohnung ist sonst nie etwas los.«
»Die Wohnung ist nur ein Punkt. Der andere dein Reiseziel, Petersson hatte mit dem Nahen Osten zu tun.«
»Ich verstehe«, sagte Sahlin, aber augenfällig verstand er nicht. »Wie sah meine Wohnung denn aus? Wurde eingebrochen?«
»Eben nicht. Sie war normal verschlossen. Durchwühlt wurde auch nichts.«
Barbro trug ein Tablett herein und stellte es auf dem Tisch ab. Sie füllte drei Tassen mit Kaffee. Das war Teil einer Inszenierung, die die Gruppe »Die Zahnarzthelferin« nannte, und die sie immer dann aufführten, wenn ein männlicher Zeuge oder Tatverdächtiger vernommen wurde. Kjell hatte sie während eines Zahnarztbesuchs entwickelt, als er den Zahnarzt fragte, was eigentlich mit Zahnarzthelferinnen geschah, die das dreiundzwanzigste Lebensjahr vollendet hatten. Wurden die irgendwo hingebracht? In die Bergwerke von Kiruna zum Beispiel? »Die heiraten!«, hatte der Zahnarzt erklärt.
»Die Zahnarzthelferin« war eine ganz und gar archaische Methode: Eine Polizistin notierte zuerst die Personalien, räumte dann den Sitzplatz, auf dem sie nur vorne auf der Kante sitzen durfte, ließ den Stift jedoch am Platz liegen. Dann kam der männliche Kommissar, nahm herrschaftlich Platz, ergriff den Stift wie ein Szepter und begann das Verhör. Die Kollegin hatte etwas später einen zweiten Auftritt beim Hereinbringen von Dingen, die nicht immer wirklich benötigt
Weitere Kostenlose Bücher