Der zweite Tod
Fenster. Schon seit zwei Stunden.«
»Wo ist John?«
»Er schläft schon lange.«
»Was ist denn?«
»Da sind Leute im Haus gegenüber. In der vierten Etage. Das ist genau gegenüber von der Wohnung von diesem Petersson. Die sind schon seit einer Viertelstunde dort. Es ist dunkel. Ich glaube, sie kriechen über den Boden. Da sind Lämpchen und … Computermonitore. Und Taschenlampen. Ich kann es nicht genau erkennen.«
Zweiter Teil
Akazienmädchen
Gott kennt jeden Namen.
Lehre des Königs Amenemhet
27
Mittwoch, 5. Dezember
Sofi war jetzt eine andere. Das spürte Linda zum ersten Mal, als sie nebeneinander liefen und der Gang niemals enden wollte. Sofi ging beschwingt und mit federnden Schritten. Sie ließ keinen Zweifel, dass sie hierher gehörte. Linda bereitete es Angst, ihr Leben zu verlassen, ausgerechnet jetzt, wo so viel darin geschah. Sie nahm sich vor, in den kommenden Tagen mit etwas anderem sehr glücklich zu sein. Womit, wusste sie noch nicht. Die Gerüche konnte sie noch nicht einordnen. Der Gang von der Landebahn zum Ausgang des Flughafens führte schnurgerade zur Zollsperre. Hier hörte sie Sofi zum ersten Mal Arabisch sprechen. Um die Sperre passieren zu dürfen, musste man sich an einer Theke eine Gebührenmarke kaufen und damit ein Visum beantragen. All das verstand Linda aber erst, als Sofi es ihr erklärte. Das Durcheinander war so groß, dass Linda das Durcheinander in ihrem Inneren seit der Landung völlig vergessen hatte.
Wartenummern gab es hier nicht, Sofi musste wie eine Löwin kämpfen. Linda sah ihr aus sicherer Entfernung dabei zu, wie sie zwei arabische Draufgänger davon abhielt, sich vorzudrängein.
Neben ihr stand eine Frau, die Linda um zwei Köpfe überragte. Ihre Haut glänzte so schwarz wie der Lavastein in Cissis Zimmer. Auch die Frau beobachtete die Szene vor der Visumsausgabe und drehte den Kopf langsam zu Linda, als sie ihren Blick auf sich spürte. Linda versuchte zu lächeln und glaubte, dass die Frau etwas Vergleichbares tat. Aus Ägypten stammte sie bestimmt nicht, auch wenn Linda bisher kaum einheimische Frauen gesehen hatte.
Sofi kam mit den Pässen zurück und strahlte über das ganze Gesicht. Sie zog Linda zur Zollschleuse ganz außen, wo am wenigsten Andrang herrschte. Das war der Durchgang für Menschen aus der Ersten Welt, erklärte ihr Sofi und fand das offenbar ganz normal.
Linda war zum ersten Mal in der Dritten Welt. Sie hatte sich nicht bewusst gemacht, dass Kairo dazugehörte. Bisher war die Dritte Welt immer woanders gewesen. Außerdem war sie ja jetzt in Afrika. Sie hatte sich Ägypten stets als etwas ganz Eigenes vorgestellt. Das änderte sich jetzt. Der breite Gang mündete bald in eine große Halle, die durch ein Absperrgitter geteilt wurde. Auf der einen Seite lagen die Gepäckbänder, vor denen nur wenige Menschen auf ihre Koffer warteten. Jenseits der Absperrung drängten sich Hunderte von Menschen. Sie riefen und fuchtelten mit den Armen.
Linda und Sofi waren die einzigen Europäer. Mit ihren Taschen drängten sie sich durch die Menge. Viele fremde Menschen klopften Linda freundlich auf die Schultern und hießen sie in Ägypten willkommen.
Draußen schlug ihnen der warme Wind entgegen. Es roch nach Juni. Der Flughafen lag mitten in der Wüste.
Nuras Pferdeschwanz war so dick wie ein Schiffstau. Sie stand an einen Wagen gelehnt. Ihr Gesicht wirkte eher südeuropäisch als arabisch. Sofi hatte ihr erzählt, dass es bei Kopten nicht üblich war, sich mit den arabischen Einwanderern zu vermischen, ihre Ähnlichkeit zu den Frauen auf altägyptischen Wandmalereien war also kein Zufall. Sofi und Nura sprachen nicht, schlössen einander aber so fest in die Arme, dass Linda drei Schritte zurückwich. Nuras Hand fuhr Sofi im Nacken durch das Haar, und Sofi schmiegte sich an sie. Sie gaben sich Küsse. Sofi verwirrte Linda.
Sofi löste die Umarmung und stellte Nura und Linda einander vor. Nura schloss auch sie in die Arme und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Als Linda begriff, dass es gebrochenes Schwedisch war, konnte sie den Inhalt schon nicht mehr rekonstruieren. Nura fasste in Lindas feine blonde Haare und grinste breit. Sie roch sehr gut, süß und frisch. Nura verschenkte ihre Küsse auch an sie.
Linda saß allein auf der Hinterbank. Nura und Sofi hielten sich an den Händen. Linda hatte noch nie gesehen, dass Sofi einen Menschen länger als einen Augenblick berührte. Die Fenster waren heruntergelassen, der Wind
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