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Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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Freigiebigkeit vorerst lieber aus.
    »Bei einem Darlehen müssen wir uns natürlich fragen, wie Mari es zurückbezahlen wollte«, überlegte Henning. »Die Liste reicht die letzten zwei Jahre zurück. Umgerechnet in ein Monatsgehalt, ergibt das fünfzigtausend brutto.«
    »Es könnte das Gehalt einer Sekretärin sein, die sehr bestechende Fähigkeiten haben muss. Aber in ihrem Fall ist brutto auch noch netto, denn offiziell hat sie ja gar nicht für ihn gearbeitet. Sie hat nie Steuern bezahlt.«
    »Wir wissen ja auch nicht, ob das auf der Liste wirklich alles ist.«
     
    Zur Mittagszeit betrat Kjell das Antiquariat. Nun war die Vorweihnachtszeit wirklich angebrochen. Das Geschäft war voll lesender und blätternder Menschen. Wessén hatte trotzdem Zeit für eine Tasse.
    »Du kommst aber oft!«, staunte Wessén. »Willst du etwa den ganzen Laden kaufen?«
     
    Sofi und Henning waren seit dem Mittag mit den Reisevorbereitungen beschäftigt. Barbro brach am Nachmittag auf, um Linda eine Fahrstunde zu geben. Seit dem Vormittag schneite es unablässig, und die beiden wollten nach Norden Richtung Hagapark, um dort auf einem einsamen Weg mit der Handbremse zu üben.
    Kjell wartete gespannt auf Barbros Rückkehr. Sie war eine der wenigen Menschen, die Linda mit ihrer Meinung niemals schonten. Seit Beginn des Fahrunterrichts konnte er an Linda den einen oder anderen Sinneswandel beobachten.
    »Können wir über Linda sprechen?«, fragte Barbro nach ihrer Rückkehr.
    »Ich wollte dir einen Vorschlag machen«, begann sie, als sie sich mit einer Tasse Kaffee und zwei Stück Kuchen in der Cafeteria gegenübersaßen. »Du wirst wohl nein sagen, aber ich glaube, dass Linda eine kleine Pause braucht. Das denkst du doch auch, oder?«
    »Raffinierte Einleitung.«
    »Sofi soll Linda mitnehmen.«
    »Nach Ägypten?«
    Barbro nickte entschieden.
    »Bist du wahnsinnig?«
    »Sie soll ja nicht mit zu der Kontaktadresse fahren«, lachte Barbro. »Aber im Sommer wollten die beiden doch ohnehin zusammen nach Kairo fahren und diese Freundin besuchen. Nura heißt sie, glaube ich. Da das damals nicht geklappt hat, kann Sofi sie doch jetzt mitnehmen.«
    Kjell rieb sich die Augen. Jetzt wurde die Lage noch chaotischer. Er betastete ängstlich seine Schilddrüse, ob sie schon anschwoll.
    »Dort könnte sie einige Tage lang über sich, das Leben und die Liebe nachdenken«, fügte Barbro zur Bekräftigung hinzu.
    Noch mehr Sorgen! Er schüttelte energisch den Kopf.
    Barbro tätschelte seine Hand und grinste aufmunternd. »Das wird man später in der Geschichtsschreibung als Kjell-Cederström-Kehre bezeichnen.«
    Er lächelte gequält.

25
    Kjell robbte auf der Matratze zum Fenster. Er konnte es vom Bett aus öffnen. Die Luft im Schlafzimmer war stickig, aber draußen war es zu kalt, um das Fenster die ganze Nacht offen zu lassen.
    Der Eiswind schlug ihm ins Gesicht und trieb ihm Tränen in die Augen. Der schmale Streifen Schnee auf der Fensterbank war festgefroren. Er sah oft aus dem Fenster. Das taten hier alle. Wer auf Reimersholme wohnte, lebte am Fenster.
    Wessén war zuerst nicht davon begeistert gewesen, dass sein Geschäft zu einer Mätressenapanage verkommen sollte, und schlug stattdessen eine Modeboutique für Ida vor. Deshalb hatte Kjell Ida gebeten, am Abend ein Buch für ihn abzuholen. Natürlich wusste sie nicht, dass sie das Opfer einer Intrige war, und hatte in treuem Glauben das Buch bezahlt und mitgebracht. Wessén hatte Idas Bewerbung akzeptiert. Das Geschäft lag ja gleich bei ihr um die Ecke. Kjell hätte wissen können, dass die beiden sich kannten.
    Er stand auf und ging in die Küche. Die türkisblauen Ziffern der Mikrowellenuhr zeigten zwei Uhr und dreizehn Minuten an. Er suchte die nötigen Zutaten zusammen und setzte einen Topf mit Wasser auf. In der Pfanne erhitzte er Olivenöl und gab Chilischoten und Knoblauch dazu. Es gab Spaghetti ultimae rationis.
    Diese Rituale – es gab eine Reihe davon – waren alle in den Wochen nach Madeleines Tod vor vier Jahren entstanden. Linda hatte nachts gewimmert, immer nur in der Nacht. Und ihm war nichts Blöderes eingefallen, als mit ihr Spaghetti zu kochen. Das hatte gut funktioniert. Bald waren die Gründe für diese Rituale weggefallen, die Trauer hatte sich gelegt, aber dennoch kochten sie nachts weiter. Keiner von beiden zweifelte an der Bedeutung.
    Diese Rituale schweißten sie zusammen, und Linda gefiel die Verruchtheit, drei Stunden vor dem Frühstück Spaghetti zu essen, die sie

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