Der Zweite Tod
nur manchmal.
»Ich lass dich nur rauchen, um die Polizei zu hintergehen.«
Beim Antworten sah sie ernst auf das brennende Streichholz. »Genau wie ich.«
Er lachte kurz auf. Sie bot einen lustigen Anblick mit dem ungeschickten Rauchen und ihren frechen Antworten. Sie rauchten eine Weile und tranken.
»Willst du ein Bild sehen?«
Sie nickte.
»Ist aber eine nackte Frau drauf. Wenn’s dich nicht stört.« Das schien nicht der Fall zu sein. »Ich frage mich, ob es fertig ist«, sagte er, als sie vor der Leinwand standen. Er wusste, dass das Bild alles Mögliche war, aber auf keinen Fall fertig. Sie ließ sich auf dem kleinen Schemel nieder, ohne dazu den Blick vom Bild lösen zu müssen.
»Hast du schon mal Akt gemalt?«, fragte er.
»Einmal. Schnelle Skizzen mit Kreide.«
»Nun, was hast du dazu zu sagen, Linda Cederström?«
Er genoss seine Gemeinheit. Sie ließ sich davon nicht verunsi chern.
»Wer ist die Frau?«
Er verschluckte sich.
»Ein bezahlt es Modell. Ich weiß nichts über sie. Sie heißt Selma.«
Das Mo dell hatte mit dem Rücken auf einer Unter lage gelegen und die Füße zum Gesäß gezogen. Ihre Knie ragten in die Luft. Auf dem Bild schwebte sie aufrecht wie Christus am Kreuz. Der Hinter grund war unein heit lich rot.
Linda begann zögernd, geriet dann aber in Fahrt. Sie sprach von Verformung und erfasste das Verhältnis von Gestalt und Raum mit einem Satz. Er hatte Mühe, sich sein Erstaunen nicht an mer ken zu las sen. Als sie mit ihren Aus füh run gen fer tig war, drehte sie sich zu ihm.
»War sie so?«
»Mit geris sen?«
Sie nickte.
»Wie alt bist du?«
»Siebzehn. Es ist bestimmt schwer, nackt vor dir zu liegen. Du schaust so … einnehmend.« Er lachte laut.
Sie lächelte entwaffnend in seine Richtung und wandte sich wieder dem Bild zu. »Ich könnt’s nicht. Glaube ich. Ich wär’ ner vös.«
»Das ist, was alle am Anfang denken.«
Eine Weile betrachteten sie schweigend die Leinwand. Dann begann ihr Blick zu wandern. Er gewann den Eindruck, dass sie ernsthaft darüber nachdachte. Auf einmal sah sie ihn an und biss sich auf die Unterlippe. »Muss ich nackt sein?«
Nach dem Konzert standen die Menschen auf und applaudierten dem Orgelprospekt zugewandt. Kurz darauf waren sie beide allein in der Kirche. Sie rutschte etwas auf dem Sitz nach vorne, um kleiner zu werden und ihren Kopf an seine Schulter lehnen zu können. Zusammen mit einem anderen Menschen fiel es ihr leichter, nichts zu tun und dazusitzen.
»Ich hab so einen Hunger!«, sagte sie nach einer Weile.
»Um herauszufinden, wie man sich als Aktmodell fühlt, sollte man am besten nackt sein, ja. Aber du bist doch wegen des Malens hier.« Sie nickte.
»Dann setz dich auf das Sofa. Ich mache ein paar Skizzen, und später darfst du zeigen, was du kannst.« »Dass ich was kann?« »Malen natürlich.«
Sie sah ihn ungläubig an, weil er mit ihr malen wollte. Hätte sie nicht in einem Satz das Kernproblem seines Bildes umrissen, das er seit Tagen weder mit dem Pinsel noch in seinem Kopf zu artikulieren vermochte, hätte er sich wohl nicht darauf eingelassen. Jetzt war er gespannt darauf.
Sie stand auf und ging zum Sofa. Er holte sich sein Weinglas aus der Küche und überl egte, ob er ihr auch davon anbiet en sollte. Er ließ et was Zeit ver gehen, be vor er hi nüber schlender te. Sie konnte ihre Stellung selbst wählen und entschied sich dafür, das Gesicht in ihre Armbeuge zu betten. Er holte Block und Kohle, setzte sich auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.
Er begann mit einigen Zwei-Minuten-Skizzen, riss die Blätter nach jeder Skizze vom Block ab und ließ sie in ihre Richtung über den Holzboden gleiten. Sie rührte sich nicht, schielte aber aus ihrer Position auf die Skizze und hob die Augenbrauen. »Such dir eine neue Stellung«, bat er.
Sie setzte sich auf, wandte sich ihm zu, zog die Knie zur Brust, legte einen Arm darauf, der frei in die Luft ragte. Ihre Füße stellte sie auf die Vorderkante der Sitzfläche. Dann blickte sie etwas schräg zur Seite.
Sie hatte ihm mit jedem ihrer Glieder eine anspruchsvolle Aufgabe vorgegeben.
»Halt das Bein gerade, dann wirkt das Gesicht besser.«
Er ließ sich Zeit, besonders für den Faltenwurf. Eine ganze Viertelstunde zeichnete er und ließ das Blatt schließlich wieder in ihre Richtung segeln. Er sah sie erwartungsvoll an. Sie hob das Blatt vom Boden auf und betrachtete es. Das dauerte.
»In dir liegt viel«, scherzte er. »Lust auf
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