Der Zweite Tod
»Hat sie ja auch.«
»Kannst du es der Reihe nach erzählen?«
Alva richtete sich auf. »Sie hat ihn vor zwei Jahren kennengelernt. Geredet haben wir darüber nie. Der Vater und das Geld, das weißt du sicher.« Alva atmete durch. »Einmal habe ich sie vor der Bibliothek gesehen, das ist zwei Jahre her. Sie ging Arm in Arm mit ihm. Und seit dieser Zeit hatte sie keine Geldsorgen mehr.«
Alva zuckte mit den Schultern.
19
Das Siegel war gebrochen. Als Barbro das Haus am frühen Abend betrat, war sie zwar nicht mehr dem Wind ausgesetzt, aber innen war es zu kalt, um die Jacke auszuziehen. Die Kälte stieg von den schwarzen Granitplatten auf, mit denen die Böden in Mari Svahns Haus ausgelegt waren. Und als sie in dem kleinen Flur den Blick zu Boden richtete, entdeckte sie die Fußspu ren. Sie stammten von Winter stie feln. Ihre ei genen wa ren es nicht. Die Spuren hatten die Farbe von graubraunem Schmutzwas ser. Je mand war von drau ßen he rein ge kom men, ohne sich die Schuhe abzutreten. Die Spuren waren blass und kaum zu ent decken. Von den Kri minaltech ni kern konnten sie auch nicht stammen, denn die trugen bei der Arbeit immer profillose Gummiga loschen über ih ren Schu hen.
Sie eilte zum Wagen zurück und nahm den Fotoapparat aus dem Handschuhfach. Sie machte dreißig Fotos und stieg dann ins Obergeschoss hinauf. Die Spuren gab es nur unten im Flur und in der Halle. Sie suchte in Maris Schrank nach Schuhen. Ein Blick genügte, um zu sehen, dass Maris Schuhgröße um einige Nummern kleiner war als die der Fußabdrücke.
In der Jacobs Kyrka leuchtete warmes gelbes Licht, das die Folgen ei ner katast ropha len Re novie rung abmilder te. Der Organist beendete gerade die dritte Fuge. Jetzt in der Vorweihnachtszeit hatten die Menschen Wichtigeres zu tun, als sich Orgelkonzerte an zu hören. Idas Vater war Orga nist. Angetrun ken hatte sie einmal behauptet, sogar im Orgelstuhl ge zeugt worden zu sein. Das hatte wirklich sehr glaubhaft geklungen, es würde so gut wie alles an ihr erklären. Diese besondere Form der Rejouissance ging auf Bach selbst zurück, unter dem diese ganz besondere Kunst des Fügens auch ihren Höhepunkt erreicht hatte.
Er entdeckte sie in einer der mittl er en Bänke. Sie drehte den Kopf nicht zu ihm, als er sich neben ihr niederl ieß, aber er konnte sie einmal laut ausatmen hören. Sie blickte auf ihre Hände hinab, die auf ihren Schenkeln ruhten. Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht. Sie ließ ihre Unterlippe über die Schneidezähne fahren. Ida sah müde aus und erschöpft.
John Osborne öffnete eine Flasche Rotwein und schenkte sich ein Glas ein. Er blieb in der Küchentür stehen und betrachtete die Leinwand aus die ser Ent fernung. Er verspürte den Drang, hinzugehen und zu verändern. Doch er befahl sich selbst zu wider ste hen. Er be schloss, vor mor gen nichts mehr anzurühren und erst dann ein Urteil zu fällen. Drei Wochen wären besser gewesen, aber der Termin war schon übernächsten Freitag.
Es klingelte. Gutes Timing, dachte er, ging mit dem Weinglas in der Hand zur Tür und öffnete. Dort stand ein Mädchen, es war knallrot im Gesicht.
»Ich bin Linda«, sagte es abwartend. »Linda Cederström.«
Nach ei nigen Se kunden däm merte es ihm.
»Du bist die Tochter von dem Policeman?«
Sie nickte scheu. Er bat sie herein. Was hatte sie mit ihren Haa ren gemacht?
»Kaffee? Coke? Schwedische Holunderlimonade?«
»Ein bisschen Kaffee.«
Sie folgte ihm auf seine Aufforderung hin in die Küche. Er hoffte, sie war beim Zeichnen nicht so zaghaft. Er reichte ihr die Tasse und lehnte sich gegen die Küchenanrichte, trank einen Schluck vom Wein und beobachtete, wie sie mit beiden Händen die Tasse zum Mund führte und daran nippte. Sie war noch sehr jung, weit unter zwanzig. Er mochte ihre Haare. Sie waren dunkelblond, fein und zerzaust.
»Du malst also.«
Statt zu antworten, nippte sie noch einmal und musterte ihn aus den Augenwinkeln. Das wirkte unerwartet standhaft. Ihm gefiel, dass sie trotz ihres selbstverliebten Alters nicht gleich losplapperte. Das ließ sie erwachsen wirken. Er bekam Lust zu rauchen und zündete sich eine Zigarette an.
»Du rauchst ja hoffentlich nicht.«
»Manchmal. Heim lich.«
Er warf ihr die Packung hin. Sie konnte sie nicht auffangen, mit beiden Händen an der Tasse. Sie stellte sie ab und beugte sich nach der Schachtel, nahm eine Zigarette heraus und steckte sie sich an. Beim Anzünden sah er, dass sie nicht gelogen hatte. Sie rauchte wirklich
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