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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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wieder und sagt: » PTBS steht für posttraumatische Belastungsstörung. Die Symptome sind vielfältig und komplex. Schlafstörungen, Suizidgedanken, um nur zwei zu nennen. Wenn die Symptome länger als drei Monate nach dem erlittenen Trauma anhalten, spricht man von chronifizierter PTBS . In Ihrem Fall haben wir es mit zirka vierzig Jahren zu tun.«
    Ich verstehe kein Wort.
    Â»Sie verstehen jetzt wahrscheinlich kein Wort, aber das macht nichts. Wir arbeiten daran, vertrauen Sie mir.«
    Â»Was ist mit der Strafe?«, sage ich.
    Â»Strafe?«
    Â»Schwere Körperverletzung, eventuell mit Todesfolge. Wie viel bekomme ich dafür, wenn ich dieses chronifizierte Dingsbums habe?«
    Â»Erzählen Sie mir von dem Foto, Frau Block.«
    Neunter Tag.
    Ich werde jetzt nicht ans Telefon gehen. Das werde ich nicht, auch wenn es wahrscheinlich der letzte Anruf ist, den ich in diesem Leben bekomme.
    Es klingelt zum vierten Mal, dann höre ich meine eigene Stimme.
    Verdammt.
    Ich habe nicht nur vergessen, das Telefonkabel durchzuschneiden, sondern auch, den Anrufbeantworter in den Backofen zu schmeißen oder aus dem Fenster.
    Piep.
    Â»Frau Block?«
    Knister.
    Â»Frau Block? Sind Sie da?«
    Bin ich nicht. Ich bin an der Ostsee.
    Â»Hier ist Paul Zwerger, vom Kostümfundus.«
    Stimme längst erkannt, Zwerger, Anruf zwecklos. Schon deswegen, weil du längst tot bist. Ich habe dich in den letzten Jahren täglich gevierteilt oder ertränkt. Die gerechte Strafe für Arschkriecher und Schleimscheißer deiner Art.
    Â»Ich rufe an wegen einer Jacke, die wir suchen. Eine Armeejacke. Sie ist verschwunden, ich habe das ganze Lager abgesucht, aber die Jacke ist weg, und jetzt wollte ich Sie fragen, ob Sie vielleicht eine Ahnung haben, wo die Jacke ist.«
    Keine Ahnung, Zwerger. Sie hängt an meiner Garderobe. Direkt neben der Tür und neben einem Mantel, den ich nie mehr anziehen werde, und einem Schirm, den ich nie mehr zu Hause vergessen werde.
    Â»Ja, also, das war’s schon. Und ich rufe nur an, weil mich der Abteilungsleiter darum gebeten hat.«
    Der Abteilungsleiter ist tot. Erdrosselt. Mindestens hundert Mal.
    Â»Er ist der Meinung, dass Sie, wie soll ich sagen, die Jacke eventuell irrtümlich mitgenommen haben.«
    Leg auf, Zwerger.
    Â»Kann ja passieren, dass man etwas irrtümlich mitnimmt, geht uns allen so, hin und wieder.«
    Leg auf.
    Â»Also bitte, rufen Sie mich doch an, wenn Sie eine Idee haben, wie wir das mit der Jacke regeln wollen. Alles ganz diskret, das hat auch der Abteilungsleiter gesagt, wir regeln das alles ganz diskret …«
    Knister.
    Zwerger?
    Knister.
    Bist du noch da?
    Â»Frau Block, wenn ich die Jacke nicht auftreibe, macht mich der Abteilungsleiter fertig. Rufen Sie mich an. Bitte.«
    Klack.
    Hilf mir, Zwerger.
    Urlaub 1983 . Die Farben sind ein bisschen verblasst, aber sonst: alles da.
    Karlotta sitzt in einem blauen VW Käfer Cabriolet, das Verdeck ist heruntergelassen. Sie grinst in die Kamera und macht das Zeichen, V wie Victory. Der Käfer gehört Suzanna. Sie hat ihn damals von den zusammengesparten Nachtzulagen im Hospiz gekauft und genauso geliebt wie ihren Job.
    Dieses Auto, hat sie immer gesagt und stolz auf die Kühlerhaube geklopft, dieses Auto fährt nicht mit Benzin, es fährt mit dem Blut der Toten.
    Karlotta trägt ein schwarzes Tanktop und eine verspiegelte Pilotenbrille. Ihre Haare sind lang und lockig, so hat sie die damals getragen. Marlen sitzt neben ihr. Sonnenbrille im Stil von Grace Kelly um 1950 , hochgeschlossene Bluse. Cremefarben, ärmellos, sehr elegant. Und ziemlich transparent, ich kann den BH sehen, sogar auf dem Foto, feinste Spitze, knallrot. So war das mit Marlen: total elegant auf den ersten Blick, total verludert auf den zweiten. An den Kerl, mit dem sie damals gerade verheiratet war, kann ich mich nicht so genau erinnern. Irgendein Klaus oder Peter aus irgendeinem Elitekader im Bereich Wirtschaft und Finanzen, was weiß ich. Den BH hat Klauspeter bezahlt, so viel steht fest.
    Marlen grinst genauso breit wie Karlotta. Sie hält eine dicke Strähne von Karlottas gelocktem Haar in der Hand und pinselt sich mit dem Ende die nackte Achselhöhle.
    Sehr witzig.
    Suzanna sitzt am Steuer und lächelt in die Kamera. Eine Schönheit.
    Urlaub 1983 steht hinten auf dem Foto. Unser letzter, danach haben wir uns aus den Augen verloren. Marmor, Stein und Eisen bricht, alles

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