Der Zwerg reinigt den Kittel
TaubenfüÃen. Nicht zack, sondern trippel, ganz leise, und die kleinen Krallen an den TaubenfüÃen machen leise tack tack tack, vielleicht sind es auch gar keine TaubenfüÃe, sondern die FüÃe eines Kellners mit schwarzen Schuhen, tack tack tack.
Das Schicksal ist ein diskreter Kellner. Und er kommt nicht mit Kindstod und Autounfall, er kommt mit der Rechnung.
Da steht: 1 Ã falsche Entscheidung mit Pommes.
Und dann zahlst du.
In bar.
In Jahren.
Das ist die Währung: Lebensjahre. Viele, viele Jahre deines Lebens, vielleicht alle, die du noch hast nach der einen falschen Entscheidung.
Sowas macht grau, auch wenn du erst dreiÃig bist.
Ich betrachte Schwester Olgas Scheitel, dann ihr stumpfes hellgelbes Haar. Wahrscheinlich selbst gefärbt, das machen viele berufstätige Frauen im unteren Lohnsektor. Die fettarschige Souffleuse zum Beispiel, die hatte auch so ein Gewirr aus verdurstetem Steppengras auf dem Kopf.
Ich überlege, ob es sein kann, dass Schwester Olga gerade weint, weil ihre Schultern so komisch zucken. Dann überlege ich, wann Schwester Olgas Haare zuletzt blond waren. Nicht pissgelb, sondern naturblond. Schimmernd.
Schätze, das war so vor zehn bis zwölf Jahren, da war Schwester Olga noch Schülerin, und irgendein ambitionierter Lehrer hat die ganze Klasse auf eine Berufsinformationsmesse geschleppt, ohne zu wissen, was er damit anrichtet. Am Informationsstand des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bekommt Schwester Olga eine Broschüre in die Hand gedrückt, vielleicht von der Ministerin höchstpersönlich, wer weiÃ. Schwester Olga sagt artig Danke und fängt zu blättern an.
Bilder von alten Frauen mit sympathischen Lachfalten, die sich Bälle zuwerfen.
Bilder von alten Frauen mit sympathischen Lachfalten, die gemeinsam etwas basteln.
Ab und zu ein Bild von ein paar sympathischen alten Männern, die auch werfen oder basteln, hin und wieder ein Rollstuhl, da und dort ein Waschbecken mit Haltegriff, und immer ein junger Mensch zwischen den Alten, immer mittendrin, immer voll dabei.
Hilft beim Basteln.
Hilft beim Werfen.
Kämmt Haare, schiebt Rollstühle, hat dieses Gesicht, das Schwester Olga sofort gefällt, so ein frohes, erfülltes Gesicht, Schwester Olga will auch so ein Gesicht haben, man kann sehen, wie viel Freude es dem Gesicht macht, auf diesen Bildern zu sein.
Altenpflege â Sei dabei! Ein Beruf mitten im Leben.
Steht vorne auf der Broschüre, oder etwas Vergleichbares, ich war ja nicht dabei, damals, als Schwester Olga sich entschieden hat, Altenpflegerin zu werden, und das Schicksal losgetrippelt ist, ganz diskret, die Rechnung in der Hand.
Klack. 03 : 16 .
Gesenkter Kopf, zuckende Schultern. Es ist ganz still im Zimmer. Die braven Mädchen sind immer noch brav und schlafen tief. Rechts von mir Frau Fitz in ihrem vergitterten Bett, der dünne graue Zopf ist zwischen zwei Stäbe gerutscht und hängt über die Bettkante. Links von mir Marlen. Oder etwas, das wie Marlen aussieht. Die Legende sagt, dass Hexen niemals schlafen und sich nachts drauÃen herumtreiben. Nachts haben Hexen noch mehr Spaà als tagsüber: Gräber verwüsten, Tote quälen, auf dem Blocksberg tanzen. In ihre Betten legen sie Doppelgänger, damit es nicht auffällt. Die Doppelgänger sind aus den GliedmaÃen toter Frauen zusammengenäht, die ihr Neugeborenes ertränkt haben und dafür gesteinigt wurden. So war das zumindest früher. Keine Ahnung, wie das heute ist und woraus Marlen ihren Doppelgänger genäht hat, auf jeden Fall liegt er regungslos da, Frau Fitz auch, die Uhr blutet schweigend ihrem nächsten Klack entgegen und Schwester Olga weint so lautlos in sich hinein, wie ich noch nie einen Menschen weinen gehört habe.
Noch nie.
Ehrlich.
Das Alter ist nicht unbedingt reich an neuen Erfahrungen, das Altenheim schon.
Ich falte meine Hände über der Bettdecke und lausche andächtig. Schwester Olgas Hände liegen schlaff in ihrem SchoÃ. Es sind jetzt keine Nebelfetzen mehr, sondern einfach nur Hände. Raue Haut, rissige Nägel, jede Menge Kratzspuren, manche davon halb verheilt, manche frisch verkrustet, am rechten Ballen etwas, das wie eine kleine Bisswunde aussieht.
Vor ein paar Tagen habe ich Schwester Olga nach dem Namen ihrer Katze gefragt.
»Katze?«, hat sie gesagt.
»Oder Kinder«, habe ich gesagt und auf ihre Hände
Weitere Kostenlose Bücher