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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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Gesichtsmassage. Beine wachsen, Bikinizone, Achseln, Damenbart, der ganze Schnuddel, die Kosmetikerin kommt dich einmal pro Woche besuchen, auf Kosten des Hauses.«
    Â»Zweimal!«, zischt Marlen.
    Â»Da müsste ich nachverhandeln, lässt sich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit machen. Also, Leute: Seid ihr bereit für die Operation Hinterland? Seid ihr bereit, zehn Tage lang die Konsequenzen eurer Entscheidung zu tragen und das Ja-Wort, das ihr mir in der Kneipe gegeben habt, in die Tat umzusetzen?«
    Suzanna nickt.
    Marlen nickt.
    Ich überlege.
    Die Privilegien können sich sehen lassen, keine Frage, aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Zehn Tage sind eine lange Zeit, wenn du sie als Menschenmüll verbringen musst. Außerdem habe ich das dumpfe Gefühl, dass wir gar nicht so genau wissen, worauf wir uns da einlassen. Mit den Details ist Karlotta noch nicht herausgerückt, und mir schwant Übles. Körperpflege zum Beispiel ist ein weites Feld. Wer weiß, bei welchen sogenannten Verrichtungen ich mir im Bereich Körperpflege helfen lassen muss. Wer weiß, wo ich mir überall herumfummeln lassen muss.
    Es gibt Stellen an deinem Körper, die sind nicht für andere bestimmt.
    Es gibt Orte an deinem Körper, die darf keiner betreten.
    Geheimnisse einer Frau, schuhu, schuhu.
    Â»Und was, wenn wir es nicht schaffen«, sage ich. »Wenn die Operation Hinterland scheitert.«
    Karlotta runzelt die Stirn. Sie hat genau gehört, dass in meinen Fragen die Fragezeichen fehlen. Fragen ohne Fragezeichen sind Feststellungen.
    Â»Dann«, sagt Karlotta mit der Stimme eines Apokalyptikers, der gerade den Weltuntergang prophezeit, »ist der Traum vom Ruhestand ausgeträumt. Kein Urlaub im Hinterland, keine Aufenthaltsgenehmigung im Reservat. Ohne Zuschuss können wir uns die R ESIDENZ nicht leisten, und ein anderes Altenheim auch nicht. Bedeutet: Wir bleiben arbeitsfähige Mitglieder dieser Gesellschaft und werden so lange als ehrenamtliche Vollzeitsklaven durchs Leben gehen, bis wir wirklich reif sind für die Mülldeponie. Die Suppenküchen und Krebsstationen dieser Welt warten schon auf uns, von den vielen unterkühlten Frühgeborenen ohne Mützchen ganz zu schweigen. Viel Spaß beim Stricken, Almut. Und übrigens: In Suppenküchen und Krankenhäusern herrscht absolutes Rauchverbot.«
    Â»Worauf warten wir noch!«, sage ich, »Los geht’s! Auf in den Kampf! Wir schaffen das!«
    Knack. 03 : 20 . Rrrring.
    Schwester Olga zuckt zusammen, ich auch. Frau Fitz stöhnt im Schlaf, Marlens Doppelgänger auch.
    Rrrring.
    Ich starre Schwester Olga an. Die Hände mit dem Faden hängen immer noch in der Luft, ihr Haar glänzt, das Lächeln ist ihr beim Zusammenzucken aus dem Gesicht gerutscht.
    Wie es aussieht, wartet sie immer noch darauf, dass ich den Mund aufmache.
    Wie es aussieht, habe ich gerade mit offenen Augen geschlafen, für den Bruchteil einer Sekunde, um genau 03 : 20 , irgendwo zwischen knack und rrrring.
    Ich habe geschlafen!
    Und geträumt. Von Schuld und Sühne, von Schlaf und Erlösung. Alles nur geträumt.
    Â»Pscht«, sagt Schwester Olga leise, »nicht erschrecken. Das ist nur der Wecker von Frau Könick nebenan.« Sie dreht den Kopf nach rechts zu Frau Fitz, dann nach links zu dem Etwas, das wie Marlen aussieht. »Alles gut. Sie schlafen, und das ist gut, und wir werden auch gleich Heia machen, wenn wir durch sind mit den Zähnchen, nicht wahr, Frau Block?«
    Ich nicke, ich öffne den Mund. Aber nur so weit, wie man den Mund öffnen muss, um zu sprechen.
    Â»Verzeihen Sie, Schwester Olga, ich war gerade ein bisschen abwesend. Sie wissen ja: das Alter.«
    Sie lächelt. Sie spannt den Faden.

4
    An der schönen blauen Donau.
    Knack, 07 : 00 , aus dem Lautsprecher an der Decke kommt ein kurzes Krachen, und dann geht’s los. Am Anfang ganz leise. Erst die Hörner, dann die Flöten, oder was immer das auch ist, was sich da am Anfang so perfide reinschleicht in den Walzer, während die Geigen schon im Hintergrund lauern. Knapp dreißig Sekunden später dann das erste fette Crescendo. Die Hörner geben Gas, die Geigen fallen wie ein ausgehungerter Heuschreckenschwarm aus dem Lautsprecher über uns her, Marlens Doppelgänger stöhnt und zieht sich die Bettdecke über den Kopf. Vielleicht ist es auch gar nicht Marlens Doppelgänger, vielleicht ist es Marlen

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