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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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höchstpersönlich, ich kriege nie so genau mit, wann der Austausch stattfindet und wie, ich zähle einundzwanzig, zweiundzwanzig, gleich ist es so weit, gleich ist er da, der erste Höhepunkt, und da ist er schon.
    Fortissimo!
    Blas! Flöt! Schrummel! Zack: Frau Fitz setzt sich ruckartig in ihrem Gitterbett auf. Der graue Zopf, der jede Nacht zwischen die Stäbe rutscht, befreit sich mit einer schlangenhaften Bewegung.
    Decrescendo.
    Piano.
    Frau Fitz sitzt kerzengerade da und stiert mit leerem Blick vor sich hin. Die Hörner verstummen, die Heuschrecken formieren sich zu einer leise schwirrenden Wolke. Einsatz Celli und Bratschen, ganz zart, jetzt die Triangel, kling kling, Frau Fitz klimpert ein paar Mal mit den Augendeckeln und gähnt. Beim zweiten kling kling klettert sie über das Gitter, behände wie ein junges Äffchen, und tänzelt auf Zehenspitzen in die Mitte des Zimmers. Dabei rafft sie geziert ihr gelb gepunktetes Nachthemd und legt eine feinmaschige Netzhose frei. Unter der Netzhose trägt Frau Fitz etwas Weißes. Der Laie könnte das für eine Herrenunterhose halten, hinten ausgestopft, vorne mit Erektion, es ist aber keine Herrenunterhose, es ist das Modell Premium Comfort. Doppelter Saugkern, Auslaufsperre im Front- und Rückenbereich.
    Ich bin kein Profi in Sachen Windeln, aber langsam werde ich das, ehrlich.
    Premium Comfort.
    Premium Plus.
    Seni Lady.
    Seni Flex.
    Frau Fitz bekommt jede Nacht ein anderes Modell verpasst, gestern zum Beispiel war es das Modell Premium Plus. Auch doppelter Saugkern, auch Auslaufsperre vorne und hinten, aber im Unterschied zu Premium Comfort hat Premium Plus einen Klettverschluss und muss nicht mit einer Netzhose fixiert werden.
    Â»Sehr praktisch«, hat mir Schwester Cornelia erklärt, die ein absoluter Profi in Sachen Windeln ist. »Premium Plus ist sehr praktisch, außerdem absolut zuverlässig, quasi der Mercedes unter den Inkontinenzeinlagen.«
    Interessant, habe ich gesagt.
    Â»So ein Klettverschluss, müssen Sie wissen, das ist eine großartige Sache für uns vom Pflegepersonal, weil das geht ganz schnell beim Ausziehen. Ratsch, zack, und schon ist die Sache erledigt. Die Netzhose ist da viel sperriger, weil die hat zwar einen elastischen Bund, aber der sitzt verdammt stramm, der Bund, und auch die elastischen Beinabschlüsse, alles sehr stramm, und das ist ja auch quasi der Sinn der Sache, weil die Einlage bombensicher fixiert sein muss, aber beim Ausziehen, ich kann Ihnen sagen, Frau Block, da hat unsereins schon zu kämpfen hin und wieder.«
    Interessant, habe ich gesagt. Und warum werden dann hauptsächlich Windeln mit Netzhose verwendet?
    Â»Einlagen. Es heißt Einlagen. Und die Windeln mit Klettverschluss oder Klebestreifen heißen Pants.«
    Und warum werden dann hauptsächlich Einlagen mit Netzhose verwendet und keine Pants?
    Â»Ist billiger.«
    Frau Fitz tänzelt Richtung Zimmermitte, ich betrachte wie jeden Morgen ihre nackten Beine und frage mich, wie sie das nur hingekriegt hat.
    Frau Fitz ist 80 .
    Die Beine sind 14 .
    Ehrlich. Mädchenbeine. Überhaupt sieht Frau Fitz aus wie ein Mädchen, aber eines mit Hutchinson-Gilford-Syndrom, das ist diese Krankheit, bei der du im Turbotempo alterst, weil irgendeines deiner Chromosomen verrückt spielt. Mit drei verkalken deine Arterien, mit acht bekommst du Osteoporose, mit elf hörst du auf zu wachsen, mit vierzehn bist du tot. Aber du stirbst mit makellosen Beinen.
    So gesehen ist das doch kein so guter Vergleich mit dem Hutchinson-Gilford-Syndrom, weil Frau Fitz gerade nicht danach aussieht, als würde sie bald sterben. Ihre Wangen sind gerötet, ihre Augen glänzen, sie tänzelt formvollendet durchs Zimmer, gleich wird sie stehen bleiben.
    Es gibt da diese Stelle am Boden, mitten im Zimmer, die ist viel heller als der Rest. Braungrauer PVC -Boden, und dann diese Stelle. Ein rundlicher Fleck, in der Mitte fast weiß, an den Rändern hellgrau auslaufend, außerdem deutlich tiefer als der Rest des Bodens. Am dritten Morgen ist mir das zum ersten Mal aufgefallen, und da habe ich Schwester Cornelia gefragt, wie lange Frau Fitz schon in der R ESIDENZ wohnt.
    Â»Neun Jahre«, hat Schwester Cornelia gesagt.
    Â»Immer im selben Zimmer?«
    Â»Immer im selben Zimmer.«
    Immer, wenn Frau Fitz die Stelle erreicht hat, wanzt sich das ganze Orchester gerade an den berühmten So-blau-so-blau-Refrain heran, bei

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