Der Zwerg reinigt den Kittel
gelaunt an dem Tag.
»Leider illusorisch, dass wir es schaffen, uns zehn Tage lang rund um die Uhr bei allem helfen zu lassen, sogar beim Nasenbohren. Deswegen nehmen wir Abstand von Pflegestufe drei und konzentrieren uns auf das Machbare: Pflegestufe zwei.«
»Bedeutet?«, sage ich.
»Ich zitiere: Pflegestufe zwei bedeutet, dass der Antragsteller mindestens drei Stunden täglich Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens benötigt. Das tägliche Leben besteht aus vier Bereichen:
Körperpflege.
Ernährung.
Mobilität.
Hauswirtschaftliche Versorgung. Zitat Ende.«
»Kommunikation«, sage ich. »Was ist mit Kommunikation? Gehört auch zum täglichen Leben. Sprechen zum Beispiel. Machen die meisten täglich, viele sogar mehrmals täglich.«
»Ich zitiere: Andere Aktivitäten des täglichen Lebens, zum Beispiel MaÃnahmen zur Förderung der Kommunikation, finden keine Berücksichtigung.«
»Bedeutet?«
»Bedeutet, dass sich die Krankenkasse einen Dreck dafür interessiert, ob du noch sprechen kannst oder nur noch stumm vor dich hinsabberst. Wenn dir jemand beim Kommunizieren hilft: Schön für dich, aber Kohle gibtâs dafür keine. HeiÃt für uns: Alle Konzentration auf die subventionierten Pflegeminuten in den vier Bereichen des täglichen Lebens. Sammeln, Leute, sammeln, was das Zeug hält! Jede Minute ist kostbar! Jede Pflegeminute wird jeden Tag vom diensthabenden Pflegepersonal in den Pflegebericht geschrieben, und wenn der MDK kommt, wird er jeden Pflegebericht auf jede Pflegeminute hin überprüfen und in das Pflegegutachten übertragen. AuÃerdem wird der MDK uns prüfen. Er wird prüfen, ob wir abgewrackt und schrottreif genug sind für die R ESIDENZ . Ob wir es wirklich verdient haben, mit den anderen senilen Altlasten eine staatlich subventionierte Endlagerstätte zu bewohnen. Fazit: Wir müssen das Pensum schaffen, das ist Punkt eins. Punkt zwei: Wir müssen am Tag der Begutachtung eine astreine Performance als Menschenmüll hinlegen. Wenn wir es schaffen, fängt der Urlaub an. Dann können wir machen, was wir wollen, ich habe alles mit dem Heimleiter besprochen, ein total korruptes Arschloch, einfach groÃartig, der Mann. âºJe höher der Zuschuss durch die Kassen, Frau Könickâ¹, hat er gesagt, âºdesto besser läuft mein Laden.â¹ Und dass der Laden nicht so gut läuft in letzter Zeit, weil ihm ein paar hochsubventionierte Pflegefälle weggestorben sind. âºAlso, Frau Könickâ¹, hat er gesagt, âºwenn Sie und Ihre Freundinnen das hinkriegen mit der Pflegestufe zwei, dann haben Sie Narrenfreiheit hier in der R ESIDENZ , und ich garantiere persönlich für ein solides Privilegienpaket.â¹
Einzelzimmer.
Extratisch im Speisesaal.
Befreiung von sämtlichen geriatrischen Zwangsveranstaltungen, zum Beispiel vom Anti-Demenz-Training.
AuÃerdem habe ich für dich«, Karlotta zeigt auf mich, »die Aufhebung des Rauchverbots erwirkt. Du darfst überall in der R ESIDENZ völlig ungehemmt qualmen und an der Vollendung deines Lungenkarzinoms arbeiten.«
»Ich habe kein Lungenkarzinom, aber trotzdem danke, Karlotta«, sage ich.
»Für dich«, Karlotta zeigt auf Suzanna, »habe ich ein zeitlich unbefristetes Besuchs- und Aufenthaltsrecht im Sterbezimmer erwirkt. Die Mortalitätsrate in einem Altenheim ist nicht ganz so hoch wie in einem Hospiz, aber dafür sterben die Leute in der Regel langsamer, und du darfst ihnen dabei zusehen.«
»Oh ja!« Suzanna klatscht in die Hände. »Danke, Karlotta!«
»Und welche Sondergenehmigung haben Ihro militärische Gnaden General Könick für meine bescheidene Wenigkeit ausgehandelt, wenn ich fragen darf?« Mein Gott, ist Marlen schlecht gelaunt.
Karlotta macht eine Kunstpause. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, Trommelwirbel, die Spannung steigt. Wahrscheinlich bekommt Marlen jede Nacht das Haustaxi samt Chauffeur zur Verfügung gestellt. Mirko und der Leichenwagen, Sondershuttle zum Blocksberg.
Der Trommelwirbel wird schneller und schneller, er wird lauter und lauter, der Schlagzeuger bekommt diesen irren Blick, den Schlagzeuger immer bekommen kurz vorm Höhepunkt, gleich ist es so weit, trommeltrommel, wirbelwirbel, Crescendo, Schlag!
»Maniküre«, sagt Karlotta.
Kunstpause.
»Pediküre.«
Pause.
»Wimpern färben, Gurkenmaske,
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