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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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dem die Japaner im Wiener Musikverein immer zu schunkeln anfangen. Neujahrskonzert und so, Sie wissen schon.
    Frau Fitz tänzelt im Stand, ihre Fußballen bearbeiten den PVC -Boden, der heute wieder einen Hauch heller und ein mikroskopisch kleines Stück tiefer werden wird. Jetzt lässt sie das Nachthemd los, Premium Comfort verschwindet, die Ärmchen wandern nach oben und bilden ein perfektes Oval.
    Das ist immer ein bemerkenswerter Moment, der Moment mit dem Oval. Ich weiß nicht, wie Frau Fitz das macht, und es ist mir immer ein bisschen unheimlich, ehrlich gesagt, weil sie nämlich für ein paar Sekunden völlig erstarrt. Manchmal für fünf Sekunden, manchmal für zehn, je nachdem, wie lange das Orchester noch braucht mit dem Ranwanzen.
    Sie erstarrt.
    Völlig.
    Irgendwo drückt jemand auf die Pausetaste, vielleicht Gott, und nichts an Frau Fitz bewegt sich mehr. Kein leichtes Zittern in den durchgestreckten Mädchenbeinen, kein Heben und Senken des Brustkorbs. Ihr nach rechts geneigter Kopf, das krampfige Lächeln, die aufgerissenen Augen – alles so, als wäre Frau Fitz doch am Hutchinson-Gilford-Syndrom gestorben und irgendjemand, zum Beispiel Gott, hätte sie genommen und ausgestopft.
    Nach fünf Sekunden oder zehn legen sich die Streicher dann in die erste So-blau-so-blau-Kurve, und alles, was einen Resonanzkörper hat und ein paar Saiten, macht schrummel oder schmier. Im ausverkauften Goldenen Saal des Wiener Musikvereins fängt alles zu schunkeln an, was Takahashi heißt oder Matsumoto, der österreichische Bundespräsident schläft mit offenen Augen auf dem Balkon, Frau Fitz löst sich aus ihrer Erstarrung.
    Was dann folgt, ist schwer zu beschreiben. Da gibt es sicher eine ganze Menge guter Ausdrücke, aber mir fallen nur ein paar ein, und ich weiß nicht, ob es die richtigen sind. Wenn du jahrzehntelang in einem Musical-Schuppen arbeitest, dann bekommst du eine Ahnung von den Schrecken des klassischen Tanzes, aber eben nur eine Ahnung, weil das in der Regel nicht wirklich klassisch ist, das Gehopse im Musical. Bei Frau Fitz schon. Total klassisch, was Frau Fitz da jeden Morgen treibt.
    Arabesque.
    Würde sagen, als Erstes geht sie in eine Art Arabesque. Standbein gestreckt, auf Zehenspitzen, Spielbein gerade nach hinten so hoch es geht, Kopf in den Nacken, linker Arm nach vorne, rechter Arm nach hinten, Arabesque eben.
    Drei Sekunden halten, dann auflösen und ab in die Grundstellung.
    Zweite Kurve So-blau-so-blau.
    Stehen. Lächeln.
    Keine Ahnung, wie man die Grundstellung nennt, auf jeden Fall stehen alle klassischen Tänzer so da, wenn sie gerade nicht tanzen. Die Arme schweben seitwärts in der Luft, mit leichter Tendenz nach unten, das Standbein steht flach am Boden, das Spielbein ist gestreckt nach vorne geschoben, die Ferse des Spielbeins ist angehoben, die Fußspitze berührt den Boden. Oben herum sieht das Ganze aus wie eine angeschossene Wildente mit halblahmen Flügeln, unten herum denkt man eher an eine Gelenkserkrankung, die das Knicken der Knie unmöglich macht.
    Lächeln!
    Dritte Kurve So-blau-so-blau, schrummel, schmier, die Japaner schunkeln, der Bundespräsident schläft, Frau Fitz klopft mit der Fußspitze des Spielbeins zweimal auf den Boden, ohne aus der Grundstellung Angeschossene-Wildente-mit-Gelenkserkrankung zu gehen.
    Sowas nennt man Battement.
    Nach dem Battement kommt in der Regel ein Battement frappé (klopfende Bewegung des Spielbeinfußes gegen das Standbein), manchmal rafft sich Frau Fitz in der vierten Kurve auch zu einem Entrecheat auf, was meistens ziemlich danebengeht. So ein Sprung mit mehrmaligem Kreuzen der Füße in der Luft hat es in sich.
    Grundstellung, lächeln, fünfte Kurve.
    Irgendwelche Blechbläser haben sich zu den Streichern gesellt und geben den Japanern Schmackes, der Bundespräsident schläft.
    Rond de jambe par terre.
    Rond de jambe en l’air.
    Das rechte Bein malt einen Kreis auf den Boden, es malt einen Kreis in die Luft, dann malt es ein Kreuz auf den Boden, der Herr steh uns bei, sowas nennt man En croix, jetzt legt sich alles, was ein Instrument ist, in die sechste Kurve.
    High Noon im Musikverein! Streicher, Bläser, Flöten, Schlagwerk, alles schrummelt und schrammt und tönt, die Donau schwillt an, Frau Fitz macht eine Pirouette, die Donau wird zum reißenden Fluss, Frau Fitz macht eine doppelte Pirouette, die Donau tritt

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