Der Zwerg reinigt den Kittel
nach den Details fragt, dann sagt sie immer lächelnd: »Die Details erfahren Sie demnächst bei einer Pressekonferenz.«
Ich höre schon seit Tagen nicht mehr hin, nicht wirklich, nur nebenbei, und das mit der Fernbedienung habe ich aufgegeben. Gibt nämlich keine. Nicht in Fernsehraum vier, und in den anderen drei Fernsehräumen auch nicht.
»Krieg«, hat Schwester Cornelia gesagt. »Es war ein grausamer Krieg um die Fernbedienungen, solange es welche gegeben hat, weil jeder seinen ganz persönlichen Fernsehgeschmack durchsetzen wollte. Wir haben jahrelang darunter gelitten, wir vom Pflegepersonal. Wir waren die Kriegsopfer, genaugenommen, weil das ist schon hart, wenn man bei der vielen Arbeit auch noch alle zehn Minuten in allen Fernsehräumen nach dem Rechten sehen muss. Wenn man die alten Leutchen ständig daran hindern muss, sich die Nasen blutig zu schlagen wegen irgendwelcher Dokusoaps oder Kochshows.«
Dann ist der neue Heimleiter gekommen vor zwei Jahren, hat Schwester Cornelia gesagt, der mit dem Dreimillimeterrasen, und man kann ja über den Heimleiter sagen, was man will, zum Beispiel, dass er ein korruptes Arschloch ist, aber das mit den Fernbedienungen hat er gut gemacht. Er hat sie konfisziert. Ganz einfach. Seitdem läuft in jedem Fernsehraum genau ein Programm, seitdem herrscht Friede in den Fernsehräumen.
»Und was läuft da so bei den anderen?«, habe ich gefragt. »Ãberall dasselbe? Ãberall dieses Bildungsfernsehen ohne Werbung und ohne Filmpausen zwischen der Werbung, wie bei uns von Stockwerk vier?«
»Höhö! Filmpausen zwischen der Werbung! Der ist gut, Frau Block, wirklich gut!«, hat Schwester Cornelia gesagt und für einen Moment geklungen wie Schwochow.
Es gibt Witze, für die schämst du dich dein Leben lang. Nicht weil sie so besonders schlecht gewesen wären, sondern weil jemand auf eine bestimmte Weise darüber gelacht hat.
»Nein«, hat sie dann gesagt und war wieder ernst, »kein Bildungsfernsehen in den anderen Fernsehräumen, da laufen überall diese grässlichen amerikanischen Serien. Sie haben Glück gehabt, Frau Block.«
Ja, das habe ich. In gewisser Weise schon, weil ohne Bildungsfernsehen hätte ich nie angefangen, mich für Ethnologie zu interessieren. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Ethnologie weniger langweilig sein könnte als der Klimawandel oder Yoga. Ich wäre nie mit dem Professor ins Gespräch gekommen.
Am dritten Tag in der R ESIDENZ bin ich um genau 10 : 05 von meinem Plastikklappstuhl in der ersten Reihe aufgestanden und nach hinten zum Professor geschlurft.
Knack. 10 : 05 .
Ich stehe von meinem Klappstuhl auf, im Fernsehen läuft Am Puls der Politik, die Ministerin sagt gerade, dass auch die Generation 60 + ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlstand leisten will und sich diskriminiert fühlt, wenn sie das nicht darf, und das ist ja schön, dass die Ministerin so genau weiÃ, was die Generation 60 + so fühlt, aber es hört ihr trotzdem keiner zu. Keiner auÃer mir, weil die anderen nämlich alle schlafen, wie immer.
Suzanna, Karlotta, Marlen und alle anderen von Stockwerk vier, sie schlafen oder dämmern vor sich hin, zusammengesunken auf ihren Klappstühlen. Nur Schwochow nicht, der turnt irgendwo drauÃen herum, und Frau Schnalke auch nicht, die steht drauÃen vor der Tür und bewacht den Fernsehraum. Wenn du aufs Klo gehst, dann schreibt sie das auf, und wenn du nach zehn Minuten nicht zurück bist, dann geht sie das melden.
Ich stehe auf und schiebe mich vorsichtig an Karlotta vorbei, die neben mir sitzt und schläft, dann an Suzanna, das ist gar nicht so leicht, ist ja nicht so viel Platz, wenn Suzanna sich einmal irgendwo breitgemacht hat.
Bei Marlen ist es leicht. Haut und Knochen, ich berühre nichts davon, ich will mich ja nicht aufschürfen, sie wacht trotzdem auf.
»Tschuldigung«, sage ich.
Sie sieht mich benommen an. »Wohin gehsdu?« Leichter Zungenschlag, dabei ist sie gar nicht betrunken.
UngesüÃter Kräutertee zum Frühstück: Davon wird dir vielleicht schlecht, aber du wirst nicht betrunken. Was die weiÃen Pillen betrifft, die wir immer bekommen: Die habenâs in sich.
»Zum Professor«, sage ich, »sehen, was er da eigentlich die ganze Zeit treibt, da hinten in der Ecke. Mir ist langweilig.«
Marlen braucht geschätzte zehn Sekunden, um zu
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