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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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schlafen und schlurfe nach hinten zum Professor, vorbei an Frau Sonne, vorbei an Frau Wimmer, an der Gräfin.
    Frau Sonne: schläft. Das Album liegt in ihrem Schoß. Frau Wimmer: schläft. Ihre Arme umklammern den Müllsack. Die Gräfin: dämmert vor sich hin, mit offenen Augen, der graue Star baut unermüdlich sein Nest. Sogar Frau Fitz hat schlappgemacht, ihr grauer Zopf hängt über die Stuhllehne wie eine tote Ringelnatter.
    Der Professor sitzt auf seinem Klappstuhl ganz hinten in der Ecke. An der Wand neben ihm stapeln sich ein paar Bücher, die sind noch aus seiner aktiven Zeit als Professor an der Universität, hat mir Schwester Cornelia erzählt. Der Professor bekommt die weißen Pillen auch, aber er ist trotzdem wach. Vielleicht, weil ihm das Pruxal guttut, der Professor ist ziemlich psychotisch.
    Â»Professor?«, sage ich.
    Keine Reaktion. Er sitzt da und liest in irgendeinem Buch, das auf seinem Schoß liegt. Gekrümmter Rücken, Bleistift in der rechten Hand, die linke streicht über die Krawatte, ganz langsam, immer die gleiche Bewegung, von oben nach unten, von oben nach unten.
    Â»Professor!«
    Er reißt den Kopf hoch.
    Â»Was lesen Sie da, Professor?«
    Er runzelt die Stirn.
    Â»Darf ich?«, sage ich und zeige auf den Klappstuhl neben ihm, obwohl der gar nicht frei ist. Da steht ein kleiner Karteikasten. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
    Â»Sind Sie die neue Assistentin?«, sagt er mit gerunzelter Stirn.
    Ich überlege. Ich nicke.
    Â»Name?«
    Â»Block. Almut Block.«
    Â»Akademischer Grad?«
    Ich überlege.
    Â»Magister«, sage ich vorsichtig.
    Seine Stirn glättet sich.
    Â»Alte Studienordnung! Sehr gut! Magister: gut! Bachelor: Humbug!
    Bachelor: Humbug!
    Bachelor: Humbug!
    Bachelor: Hum …«
    Ich klatsche in die Hände, er starrt mich an, ich lächle.
    Â»Magister also. Sehr gut.« Er nimmt den Karteikasten vom Stuhl. »Setzen Sie sich, Frau Kollegin. Haben Sie eine säuberliche Handschrift?«
    Das war vor fünf Tagen. Seitdem sitze ich jeden Tag mit dem Professor ganz hinten im Fernsehraum und lese. Also normalerweise. Heute nicht, weil der Professor irgendwo hängengeblieben ist, und keiner hat ihn gefunden bisher, sonst wäre er ja schon hier. Aber normalerweise sitzen wir nebeneinander und lesen.
    Knud Rasmussen: Von Grönland bis zum Stillen Ozean, 1925 / 26 .
    Samuel Thomson: Mein Leben unter Wilden, 1851 .
    Viel spannender als Yoga im Alltag, sogar spannender als die Leichenschlitzer, das liegt am Forschungsschwerpunkt vom Professor. Genaugenommen lesen wir die Bücher nämlich nicht, wir lesen sie quer. Wir suchen. Nach den Stellen, in denen es um das Töten alter Leute geht, das ist der Forschungsschwerpunkt vom Professor: Gerontozid.
    Wenn wir eine Stelle finden, zum Beispiel die mit dem strangulierten Indianer bei Thomson oder die mit den eingemauerten Eskimos bei Rasmussen, dann suche ich im Karteikasten nach dem Kärtchen mit dem richtigen Schlagwort.
    Die meisten Schlagworte beginnen mit E.
    Erwürgen.
    Ertränken.
    Erhängen.
    Einmauern.
    Aber es gibt auch A wie Aufessen oder Z wie Zerstückeln.
    Wenn ich das Kärtchen mit dem richtigen Schlagwort gefunden habe, schreibe ich die Quelle auf, in meiner schönsten Schönschrift, kurz und knackig: Thomson: Die Wilden, 1851 , S. 312 zum Beispiel, und wenn irgendein anderer Forscher auch schreibt, dass irgendein Volk seine Senioren rituell erwürgt, dann schreibe ich ihn unter Thomson.
    Unter Aufessen haben wir bisher nur einen Eintrag: Herodot: Historien I , 5 . Jhdt. v. Chr., S. 216 .
    Auf Seite zweihundertsechzehn schreibt Herodot über die Massageten, ein indoeuropäisches Reitervolk: »Ihre Sitten verhalten sich folgendermaßen: Wenn ein Mann alt ist, kommen die Angehörigen zusammen und schlachten ihn. Sie braten das Fleisch und essen es. Darin sehen sie ein hohes Glück, denn wenn jemand an einer Krankheit stirbt, verspeisen sie ihn nicht, sondern werfen ihn den wilden Tieren vor. Man hält es für ein Unglück, dass er nicht so alt geworden ist, um geschlachtet zu werden.«
    Irgendwann, hat der Professor zu mir gesagt, »irgendwann, Frau Magister Block, werden Sie Ihre Doktorarbeit schreiben, und dann werden Sie nicht umhinkommen, das Werk zu zitieren, an dem wir gerade arbeiten, weil es nämlich ein Standardwerk sein wird: Der Gerontozid als Lösungsmodell für die

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