Der Zwerg reinigt den Kittel
ökonomischen Probleme einer radikal alternden Gesellschaft. Historisch-systematische Studie von Prof. Dr. Sebastian Knabe im Auftrag der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wissenschaftliche Mitarbeit: Mag. Almut Block. «
Im Auftrag von wem?, habe ich gesagt.
»Von ihr.« Handbewegung Richtung Fernseher. »Sie weià nichts davon, aber ich habe mich ja auch erst kürzlich dazu entschlossen, es in ihrem Auftrag zu schreiben. Sie ist noch sehr jung und nicht besonders intelligent. Sie braucht Hilfe.«
Findet Doppelrudi übrigens auch. Der findet auch, dass gewisse Leute Hilfe brauchen, zum Beispiel der Professor.
»Gegen die Altersdemenz von Frau Fitz ist kein Kraut gewachsen«, hat Doppelrudi zu mir gesagt, »aber gegen die Psychose vom Professor schon«, und dass man etwas dagegen unternehmen könnte, wenn sich irgendjemand dafür interessieren würde.
Tut aber keiner.
Interessiert keinen, wenn der Professor jeden Morgen in Anzug und Krawatte aus seinem Zimmer stürmt und glaubt, dass er auf dem Weg zur Arbeit ist. Wenn er glaubt, dass er immer noch Professor an der Universität ist und den ganzen Tag an seinem Forschungsprojekt arbeitet, weil er gerade sein vorlesungsfreies Jahr hat.
Der Speisesaal: die Mensa.
Der Fernsehraum: die Bibliothek.
Anhaltende wahnhafte Störung, so nennt man das, was der Professor hat, sagt Doppelrudi, und dass es noch ein paar andere Leute in der R ESIDENZ gibt, die das haben. Leute, die sich irgendetwas Abstruses einbilden von wegen wo sie hier eigentlich sind.
Im Hotel.
Im Gefängnis.
Auf Stockwerk zwei glaubt eine Frau, dass sie hier im Zoo ist. »Sie hält die R ESIDENZ für einen Zoo und sich selbst für eine Besucherin, und das liegt nicht zuletzt an diesen verblödeten Türschildern. Würde ich ja auch irgendwann, also glauben, dass ich hier im Zoo bin, wenn an allen Zimmertüren diese Schilder hängen von wegen Eisbär und Nashorn und so. Da ist die Orientierungshilfe für die Demenzkranken voll nach hinten losgegangen bei der Psychotikerin von Stockwerk zwei.« Hat Doppelrudi gesagt, und dass die Frau alle in den Wahnsinn treibt, weil sie die anderen Bewohner ständig füttern will oder streicheln. Arme Frau, hat er gesagt, man könnte ihr helfen. Mit einer Therapie und anständigen Psychopharmaka, und dem Professor auch, aber der Heimleiter, das Arschloch, unternimmt nichts.
Wissen Sie eigentlich, was so ein Gerontopsychiater kostet!
Wahrscheinlich bekommt man eine ganze Menge Schlüsselanhänger mit Wimbledon-Championship-Logo für einen Gerontopsychiater, und das ist gut so. Sonst wäre der Professor vielleicht schon geheilt, und ich wäre ganz allein hier im Fernsehraum. Allein unter Zombies. Lebende Tote, vollgepumpt mit Pruxal.
Die Uhr sagt knack, 10 : 10 , die Ministerin sagt »Zukunftsperspektive«, noch zwei Stunden bis zum Mittagessen, ich sitze hinten in der Ecke und lese, der Klappstuhl neben mir ist leer.
Macht nicht so viel Spaà wie sonst, ohne den Professor, auÃerdem ist das Buch, das ich mir für heute vorgenommen habe, ein ziemlicher Flop. Alles sehr theoretisch. Keine saftigen Gewaltszenen, keine geschlachteten Senioren, ich lese trotzdem weiter, die Ministerin sagt:
Kostenfaktor.
»Wenn wir die Zahl der in Anstaltspflege befindlichen Idioten und Alten zusammenrechnen, so kommen wir auf eine ungeheure Summe. Es ist leicht zu ermessen, welches ungeheure Kapital in Form von Nahrungsmitteln, Kleidung und Heizung dem Nationalvermögen für einen unproduktiven Zweck entzogen wird«, lese ich.
Die Ministerin sagt: »Die Zahl der pflegebedürftigen älteren Menschen steigt parallel zur gesteigerten Lebenserwartung. Typische Alterserkrankungen häufen sich. Schon heute erkrankt jeder dritte Mann und jede zweite Frau über sechzig an Demenz, Schwerpunkt Alzheimer. Die Pflege dieser Menschen in Altenheimen oder vergleichbaren Institutionen kostet uns ungeheure Summen.«
»Es ist eine peinliche Vorstellung«, lese ich, »dass ganze Generationen von Pflegern neben diesen leeren Menschenhülsen dahinaltern, von denen nicht wenige siebzig Jahre und älter werden. Die Frage, ob der für diese Ballastexistenzen notwendige Aufwand gerechtfertigt sei, war in den verflossenen Zeiten des Wohlstands nicht dringend; jetzt ist es anders geworden, und wir müssen uns ernstlich mit ihr beschäftigen.«
Die
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