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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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verstehen, was ich da gerade gesagt habe.
    Â»Is gud«, sagt sie. Dann hebt sie in Zeitlupe ihren Arm, fast so langsam wie die Gräfin, und zeigt auf den Bildschirm, wo die Ministerin gerade sagt, dass keiner, wirklich keiner aus der Generation 60 + diskriminiert werden darf, weil alle, wirklich alle ihren Beitrag leisten wollen.
    Â»Blödekuh«, sagt Marlen.
    Â»Ja«, sage ich, »wahrscheinlich.« Wahrscheinlich ist die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine blöde Kuh, aber sie ist ja noch sehr jung. Anfang dreißig, würde ich sagen, und da kann man schon noch ein bisschen blöd sein, nicht wahr.
    Nur blöd, wenn man mit dreißig schon Ministerin ist.
    Â»Ich hassediese Frau«, sagt Marlen.
    Na ja, das ist jetzt ein bisschen übertrieben. Muss man ja nicht hassen, die Frau, nur weil sie jung und blöd ist und trotzdem schon Ministerin.
    Â»Doch!«, sagt Marlen, obwohl ich kein Wort gesagt, sondern alles nur gedacht habe. Total zugedröhnt die alte Hexe, aber Gedanken lesen kann sie immer noch.
    Â»Dochdoch, weil die is gefährlich. Gefährlichefrau, sie will uns ferdigmachen. Bei der Pressekonferens wird sie uns ferdigmachen, die Blödekuh. Und er auch. Gefährlichermann.«
    Â»Pressekonferenz?«, sage ich. »Was geht uns die Pressekonferenz der Ministerin an? Und was meinst du mit Sie will uns fertigmachen? «
    Marlen seufzt.
    Â»Wen meinst du mit gefährlicher Mann? Was redest du da?«
    Marlen seufzt wieder und lässt den Arm sinken. Er fällt wie ein dürrer Ast in ihren Schoß, vom Herbstwind abgerissen. »Weiß nichd, alles so dunkel. Dunklezukunfd. Addila weiß es, aber er sagt nichds. Gibd mir kein Zeichen, der Scheißbasdard.«
    Diese weißen Pillen, die wir immer zum Frühstück bekommen, das sind Vitamintabletten. Heißt es. Gelb, grün, blau, in jedem Schälchen ist eine bestimmte Kombination, aber die weißen sind immer dabei. Dragees, süßlicher Geschmack. Schwester Terese verteilt sie höchstpersönlich und achtet darauf, dass du sie auch schluckst.
    Suzanna hat gleich erkannt, dass es keine Vitamintabletten sind, schon am ersten Tag.
    Â»Die kenne ich«, hat sie gesagt. »Die haben wir im Hospiz auch immer verteilt, wenn die Leute hysterisch geworden sind oder fast verrückt, weil sie bald sterben müssen.«
    Pruxal. Ein Neuroleptikum. Wirkt gegen Psychosen, wird gern als Beruhigungsmittel eingesetzt.
    Müdemacher.
    Schlappmacher.
    Bravmacher.
    Â»Sehr praktisch, die sedierende Nebenwirkung von Pruxal«, hat Suzanna gesagt, »funktioniert aber nicht bei allen. Manche werden hyperaktiv wie Schwochow oder hinterfotzig wie die Schnalke, aber die meisten werden einfach nur total schlapp davon.«
    Â»Wir sollten das Zeug nicht nehmen«, habe ich gesagt, aber Karlotta war anderer Meinung. Sie war für das Zeug und dafür, dass wir es nehmen, weil wir sonst auffallen.
    Â»Wir fallen auf, wenn wir nicht genauso schlapp sind wie die anderen. Wir könnten das natürlich simulieren, aber wozu? Ist doch einfacher, wir nehmen das Zeug und sind wirklich schlapp. Außerdem: Wer hält das schon aus, stundenlang fernsehen, ohne Drogen?«
    Na gut, habe ich gesagt, von mir aus. War ja auch nur wegen euch, mein Vorschlag, nicht wegen mir. Ich bin ja sowieso immer müde, mit oder ohne Drogen.
    Â»Das«, hat Karlotta gesagt und gegrinst, »solltest du dem Heimleiter erzählen. Der würde sich freuen: immer müde und total weggetreten, auch ohne Drogen.« Dann hat sie die Stimme vom Heimleiter nachgemacht und gejammert: »Wissen Sie eigentlich, was dieses scheiß Pruxal kostet, Frau Block!«
    Sehr witzig.
    Blödekuh.
    Habe ich erwähnt, dass Karlotta erwähnt hat, dass im Büro vom Heimleiter Bilder hängen? Bei dem Verhandlungsgespräch über die Privilegien, die wir bekommen, wenn das mit dem MDK und der Pflegestufe zwei klappt, da hat sie die Bilder gesehen.
    Bilder von ihm und der Ministerin.
    Beim Händeschütteln.
    Beim Küsschengeben.
    Benefizgala »Alzheimer and You«. Schüttelschüttel.
    Ehrenball »Helfen macht happy«. Küsschenküsschen.
    Gefährlichefrau.
    Gefährlichermann.
    Â»Addila weiß es«, sagt Marlen noch einmal, dann sinkt sie wieder in sich zusammen.
    Unsinn, denke ich. Nur der übliche Unsinn, den die Leute so labern, wenn sie zugedröhnt sind. Ich lasse Marlen

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