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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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einflößen, die Windeln wechseln, die Haare kämmen, alles ganz vorsichtig, und dann die Sache mit den Zehennägeln natürlich, ganz besonders vorsichtig, ich meine: einer Gottheit die Nägel blutig schneiden, unvorstellbar, nicht wahr?
    Ich schließe das Buch, in dem ich gerade lese, und gähne. Schon schön, das mit den Japanern, aber nicht besonders ergiebig. Kein Gerontozid weit und breit, die Uhr sagt knack, 14 : 30 , höchste Zeit für eine Rauchpause. Die mache ich immer um diese Zeit, weil der Professor um diese Zeit auch immer Pause macht, also normalerweise.
    Normalerweise schließt er um 14 : 30 das Buch, in dem wir gerade lesen, und sagt:
    Pause, Frau Magister.
    Pause, Frau Magister.
    Pause, Frau Magister, und ich lasse ihn Pause machen in seiner Zeitschleife und stehe auf und gehe aufs Klo, dort wartet ein Rauchmelder auf mich, den ich austricksen werde, und wenn ich zurück bin, befreie ich den Professor aus seiner Schleife.
    So ist das normalerweise, heute nicht. Er ist jetzt seit sieben Stunden verschwunden. Hunger, Durst, Harndrang. In sieben Stunden bekommst du so manches, wenn du irgendwo in einem toten Winkel stehst und nicht mehr rauskommst aus dem Winkel, aber vor allem bekommst du eines: Angst.
    Angst, dass dich keiner findet, weil niemand dich sucht.
    Ich lege das Buch auf den Boden und stehe auf, im Fernsehen läuft Abenteuer Wildnis: Die Tiere Afrikas, eine Antilope jagt über den Bildschirm, ich nehme meinen Stock und schlurfe zur Tür.
    Schmtz, schlurf, schmtz, schlurf.
    Die Antilope springt über einen abgewrackten Jeep, den irgendjemand in der Fernsehwüste stehen gelassen hat, ihr Körper: Kraft und Anmut.
    Mein Gott, wie ich Antilopen hasse.
    Draußen steht Frau Schnalke mit Notizblock und Kugelschreiber, sie sagt: »Zehn Minuten, sonst …«
    Â»Jaja«, sage ich, »sonst gehen Sie mich melden, alles klar.«
    Frau Schnalke nickt streng und schreibt etwas in den Block, Attila sitzt vor ihr auf dem Boden und spielt mit Fips. Beiß den Fips, so heißt das Spiel, vielleicht heißt es auch Aus die Maus, auf jeden Fall sieht Fips, die Maus, ziemlich fertig aus. Total am Ende, wenn Sie mich fragen, Attila hat ihm das rechte Plüschohr abgebissen, das linke hängt nur noch an einem dünnen Faden, und den Rest von Fips können Sie sich ja selbst vorstellen.
    Karlotta behauptet übrigens, dass Attilas zweitliebster Spielgefährte nach Frau Sonne gar keine Maus ist, sondern ein Hase, und sie könnte recht haben. Ist nämlich viel zu groß für ein durchschnittliches Katzenspielzeug vom Typ Maus, der Fips, aber Attila ist ja auch keine durchschnittliche Katze, und da hat ihm die Schnalke ein Kinderspielzeug gekauft. So ein niedliches kuscheliges Ding vom Typ Hase, das irgendwelche Leute entworfen haben, die Kinder lieben.
    Schon komisch: Irgendwo auf der Welt sitzen Leute und lieben Kinder, und dann erfinden sie einen Plüschhasen mit weißem Fell und blauen Knopfaugen, und sie denken nicht daran, dass es Kreaturen wie Attila gibt.
    Jetzt schlägt er mit der Tatze nach Fips.
    Jetzt erwischt er Fips.
    Jetzt beißt er Fips ins Gesicht.
    Ich starte los. Vom Fernsehraum bis zum Klo sind es acht Meter, und das ist nicht viel, aber wenn du eine gebrechliche alte Frau bist, dann ist das ein weiter Weg.
    Schmtz, schlurf, schmtz, schlurf, mein Gott, wie mich dieses Geräusch ankotzt.
    Â»Hallo, du altes Rotzloch«, sage ich zum Brandmelder an der Decke. Nicht besonders witzig, aber es tut gut. Ich klappe den Klodeckel herunter und stelle mich auf den Deckel. Ich öffne das kleine Klappfenster ganz oben und klemme den Stock in das Klappfenster, damit es nicht zufällt, was es gerne macht, weil der Klappmechanismus defekt ist.
    Wissen Sie eigentlich, was so ein Klofensterklappmechaniker kostet!
    Ich zünde mir eine Zigarette an, ich inhaliere tief. Dann quetsche ich mein Gesicht in den schmalen Spalt und blase Rauch ins Freie, hinaus in diesen herrlichen Tag. Mein Atem: pures Gift.
    Zwei Zigaretten später schlurfe ich wieder den Gang zurück zum Fernsehraum, Frau Schnalke wedelt schon mit dem Notizblock. »Noch eine Minute!«, kläfft sie, ich lege einen Zahn zu, schmtzschlurfschmtzschlurf .
    Â»Gerade noch«, sagt Frau Schnalke mürrisch und macht sich eine Notiz.
    Â»Husch, husch«, sage ich zu Attila. Er sitzt direkt vor der Tür zum Fernsehraum, aufrecht wie ein Katzenbuddha, und

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