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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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versperrt mir den Weg. Außerdem kaut er auf etwas herum. Wahrscheinlich das rechte Ohr von Fips, war ja abzusehen, der restliche Fips liegt unter Attilas riesigen Vorderpfoten begraben.
    Â»Husch, husch.«
    Attila hört mit dem Kauen auf und starrt mich an. Grüngelbe Augen, seltsame braune Schlieren auf der Netzhaut, ich denke an aufgewühlten Schlamm, in der Mitte ist ein schwarzer Schlitz, das ist die Pupille, denke ich, nur die Pupille.
    Schmale Pforte zum Reich der Finsternis.
    Â»Mach Platz, Liebling«, sagt Frau Schnalke weich.
    Attila rührt sich nicht. Er starrt mich an, die Schlieren wabern über seine Netzhaut, wahrscheinlich nur die Reflexion der Deckenbeleuchtung, denke ich, aber es sieht trotzdem aus wie Schlamm, in dem sich ein paar halbtote Kaulquappen träge fortbewegen.
    Â»Liebling, bitte «, sagt Frau Schnalke noch weicher, »mach ein bisschen Platz.«
    Attila schüttelt in Zeitlupe den Kopf, zumindest sieht es so aus, er bewegt ihn langsam von rechts nach links, jetzt krümmt er die Schultern zu einem enormen Katzenbuckel, gleich wird er mich anfauchen, aber nein.
    Er senkt schweigend seinen grauen Schädel, bis er dicht über dem Boden hängt, eine große alte Glocke. Attila läutet sie von rechts nach links und von links wieder nach rechts, dingdong, denke ich, dingdong, die Totenglocke, jetzt pendelt sie aus und wird ruhig.
    Plopp.
    Etwas fällt aus Attilas Maul und auf den Boden. Kein Ohr, ein Knopf. Oder etwas in der Art, es ist rund und glänzend, es ist blau.
    Zwei Minuten später sitze ich wieder im Fernsehraum und lese.
    Yoshio Kobayashi: Das Konzept der kindlichen Pietät im alten Japan, 1853 .
    Kapitel fünf: Drei Beispiele kindlicher Pietät. Beispiel eins: der pietätvolle Sohn.
    Â»Der pietätvolle Sohn wirft sich im tiefsten Winter nackt auf den gefrorenen Fluss, um das Eis mit seiner Körperwärme zum Schmelzen zu bringen und der geliebten alten Mutter zu einem frischen Fisch zu verhelfen.«
    Beispiel zwei: die pietätvolle Tochter.
    Â»Die pietätvolle Tochter kostet täglich von den Exkrementen des geliebten Vaters, um jede Veränderung in seinem Gesundheitszustand zu bemerken.«
    Beispiel drei: die pietätvolle Schwiegertochter.
    Â»Die pietätvolle Schwiegertochter gibt dem geliebten zahnlosen Schwiegervater die Brust, um ihn vor dem Hungertod zu bewahren.«

15
    Sex im Alter.
    Ich will da jetzt nicht näher darauf eingehen, aber wahrscheinlich sind Sie einer von denen, die das ganz normal finden. Ganz normal und irgendwie rührend, das sagen viele Leute heutzutage, wenn von Sex im Alter die Rede ist, vor allem jüngere Leute, und das ist gut so.
    Es ist gut, wenn die Leute sagen, dass wir hier von der natürlichsten Sache der Welt reden und dass sich keiner, wirklich keiner dafür schämen muss, weil jeder, wirklich jeder ein Recht darauf hat.
    Das Recht auf Zärtlichkeit.
    Zweiter Frühling.
    Spazierengehen im Park, Händchenhalten, später dann die Vorhänge im Schlafzimmer zuziehen und das Licht ausmachen.
    Streicheln, liebhaben.
    So stellen sich das die meisten Leute vor, und vielleicht haben diese Leute ja recht. Vielleicht ist es die natürlichste Sache der Welt und irgendwie rührend, was Suzanna da so treibt mit dem Chauffeur.
    Sie treibt es jeden Tag, immer zwischen Kaffee und Kreativworkshop.
    Mirko, der Chauffeur, Sie erinnern sich, es war Liebe auf den ersten Blick zwischen Suzanna und ihm, aber ich will da jetzt nicht näher darauf eingehen.
    Zum Kaffee gibt es in der R ESIDENZ entweder Rosinenkuchen und Mozart oder Marmorkuchen und Mozart. Zucker, Mehl, Geschmacksverstärker, dazu eine süßliche Standardversion von der Ouvertüre zur Zauberflöte – ziemlich okay, was wir da immer bekommen, weil es nicht für Diabetiker ist. Industriekuchen, Industriemozart, wirklich okay.
    Und ich will da jetzt wirklich nicht näher darauf eingehen, aber immer, wenn Suzanna zwei Stück Kuchen verschlungen hat und in ihren Kompressionsstrümpfen aus dem Speisesaal watschelt, weil sie sich angeblich noch ein bisschen hinlegen will vor dem Kreativworkshop, was ja auch stimmt, gewissermaßen – also ich muss dann immer an den Matratzenschoner denken, auf dem sie gleich liegen wird.
    Urinresistent.
    Geruchsbindende Silberfäden.
    Suzanna nackt, ein Fleischberg, überzogen mit Altfrauenhaut, überall Wülste und Würste, überall

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