Der Zypressengarten
heiratet sie jemanden aus ihrer Klasse, und ihr beide werdet vergessen, dass ihr jemals Freundinnen wart. Aber du, mein Liebes, wirst jemanden aus deinen Kreisen heiraten, oder zumindest einen Mann, der deiner in puncto Vermögen würdig ist. Das Leben ist hart, und es wird dich überrollen, solltest du nicht geschickt genug sei, obenauf zu bleiben.«
Costanza nickte, obwohl ihr Blick zur Tür wanderte.
Ihre Mutter packte sie beim Kinn. »Sieh mich an, Costanza, und sag mir, dass du das verstanden hast.«
»Ja, ich habe es verstanden«, antwortete sie.
»Schön. Und jetzt zu den Diamantohrringen. Sie sind sehr hübsch, aber ich glaube, wir finden etwas noch Besseres. Komm mit, ich habe viel schönere Diamanten in meinem Schmuckkasten.« Sie warf die Ohrringe auf die Frisierkommode.
Floriana rannte den Hügel hinab. Tränen kullerten ihr über die Wangen, und ein Schluchzen verfing sich in ihrer Kehle. Erst als sie den Strand erreichte, ließ sie es mit einem lauten Heulen frei. Sie hockte sich in den Sand, die Knie an ihre Brust gezogen, und wiegte sich vor und zurück. Wie konnte es sein, dass sie keine Einladung bekommen hatte? Sie dachte, Signora Bonfanti mochte sie, aber am Ende war sie für sie, wie für die Contessa, nur ein Streuner, den man leichthin zur Seite kicken konnte. Sie blickte hinaus aufs Meer. Irgendwo in dem Nebel, wo das Wasser auf den Horizont traf, war der Himmel. Dort lebte Jesus in einem Marmorpalast, zu weit weg, um ihre Gebete zu hören.
Plötzlich drängte sich eine kalte feuchte Nase unter ihren Ellbogen. Es war Gute-Nacht. Von Zuneigung überwältigt, umarmte Floriana den Hund und weinte in sein Fell. Er schien sie zu verstehen, lehnte sich an sie und beschnupperte sie mit seiner kitzelnden Nase. Nach einer Weile fühlte sie sich etwas besser. Gute-Nacht gab ihr Kraft, und ihr wurde bewusst, dass egal war, ob sie zum Fest eingeladen war oder nicht. Am Ende ging es bloß um einen einzigen Abend. Dante würde den ganzen Sommer hier sein, also blieb ihr reichlich Gelegenheit, ihn zu sehen. Und überhaupt wäre er sicher viel zu beschäftigt damit, sich mit den Freunden seiner Eltern zu unterhalten, als dass er Zeit hätte, mit ihr zu reden.
»Ich heirate ihn trotzdem«, sagte sie zu Gute-Nacht und trocknete sich das Gesicht an seinem Ohr. »Dann bin ich ganz offiziell deine Mutter.«
Die Contessa ließ sich ein Bad ein. Graziella hatte die Läden und die Vorhänge geschlossen. Sie zog sich aus und schlüpfte in einen seidenen Morgenmantel. Er war alt und an einem Ärmel ein wenig fleckig, doch ihr fehlte das Geld, sich einen neuen zu kaufen. Solche Extravaganzen konnte sie sich nicht erlauben. Wenn sie es jedoch richtig anstellte, würde Costanza eine gute Partie machen, und dann hätte sie wieder die Mittel, sich von allem das Beste zu leisten.
Sie blickte sich in ihrem Schlafzimmer um: Der Putz an den Wänden bröckelte, in einer Ecke war ein Wasserfleck, wo die Dachziegel schadhaft waren, und alles wirkte schäbig. An diesem Haus war so gut wie alles zu renovieren, sodass sie gar nicht wüsste, womit sie anfangen sollte. Ihr Mann verdiente Geld, jedoch nicht genug, dass sie ihr früheres Leben wieder aufnehmen könnten. Wenigstens wahrten sie nach wie vor den Anschein von Vornehmheit – und sie besaßen noch ihren berühmten Namen.
Die Contessa ging zu ihrer Kommode. Das Möbel war eine Antiquität, die sie zu Beginn ihrer Ehe in Paris für ihr Hauptschlafzimmer im römischen Palazzo erstand. Seufzend dachte sie an den Prachtbau in der Via del Corso. Was für eine herrliche Villa es gewesen war und wie angemessen für sie, dort zu leben. Es betrübte sie sehr, an jene Woche zurückzudenken, in der sie ihre Sachen packen und aus dem Palazzo ausziehen mussten. Finstere, tragische Tage waren das gewesen. Nun öffnete sie die oberste Kommodenschublade und holte einen steifen weißen Umschlag daraus hervor. Auf dem Umschlag stand in sehr eleganter Handschrift: »Signorina Floriana.«
Die Contessa hatte kein schlechtes Gewissen, denn sie tat das Richtige. Als Signora Bonfanti ihr den Brief für Floriana mitgab, hatte sie ihre Chance ergriffen. So war es das Beste. Warum sollte sie dem Mädchen einen Vorgeschmack auf eine Welt geben, von der es niemals ein Teil sein würde? Wäre es nicht nachgerade grausam, die Erwartungen Florianas so hochzuschrauben? Sie legte den Umschlag wieder in die Schublade und schloss sie. Ja, sie handelte ganz im Sinne des Kindes.
22
Der Tag des Festes
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