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Der Zypressengarten

Der Zypressengarten

Titel: Der Zypressengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Santa Montefiore
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mit den Schultern, weil sie Sylvia nicht unbedingt zeigen wollte, wie viel es ihr bedeutete.
    »Du musst weggehen, damit er dich vermisst.«
    »Vor September gehe ich nirgends hin.«
    »Das ist zu spät. Du musst jetzt weg.«
    »Und wohin soll ich einfach so verschwinden?«
    »Irgendwohin, egal; Hauptsache, er denkt, dass du weg bist.«
    »Ich habe weder genug Geld noch Urlaub.«
    »Ein Jammer. Man weiß erst, was man hat, wenn es nicht mehr da ist.«
    »Oder man vergisst es.«
    »Unwahrscheinlich, Süße. Glaub mir, ich weiß es. Ich bin eine Meisterin darin, auf unnahbar zu machen.«
    Clementine lachte, weil sie es für einen Scherz hielt, aber Sylvia guckte sehr ernst.
    Clementine hüstelte. »Ja, sicher hast du recht«, sagte sie hastig. »Wenn jemand richtig cool rüberkommen kann, dann du.«
    Rafa beobachtete, wie Marina in ihrem Wagen die Einfahrt hinunterfuhr, bevor er lässig zum ausgebauten Stall schlenderte. Grey war mit seinem Boot unterwegs, die Malschüler waren im Gemüsegarten beschäftigt, und Harvey besserte die Schornsteinaufsätze auf dem Dach mit Leim, Erntegarn und Faserklebeband aus. Mr Potter machte gerade Teepause mit Biscuit im Gewächshaus, und Bertha putzte Rafas Zimmer, wobei sie sich so lange Zeit wie möglich ließ, um seine Kleidung vom Vortag zusammenzulegen und wegzuräumen.
    Er stieg die Treppe hinauf und ging durch den Flur zu Marinas und Greys Schlafzimmer. Im Flur war noch deutlich der Duft von Marinas Parfüm wahrzunehmen, als wäre sie hier. Rafa blickte sich vorsichtig um, ehe er in das Zimmer ging. Doch seine Sorge war überflüssig, denn es war niemand im Haus. Drinnen war das Bett noch ungemacht, wartete auf Bertha. Das Fenster war weit offen und gab den Blick auf das Meer frei. Rafas Herz wummerte, als er sich umsah. Viel Nippes besaß Marina nicht, und soweit Rafa es feststellen konnte, war hier nichts Besonderes.
    Er fing an, Schubladen aufzuziehen und die Böden sowie die Rückseiten nach Verborgenem abzutasten. Aber dort war nichts, und er bekam ein schlechtes Gewissen, weil er in Marinas Privatsphäre eindrang. Als er beim Wandschrank ankam, fiel ihm sofort die geblümte Schachtel auf, die halb unter den Schuhen versteckt war. Mit zitternden Händen holte er sie hervor und öffnete sie. Drinnen waren unzählige Briefe, deren vergilbtes Papier nur bedeuten konnte, dass sie alt waren. Rafa hielt den Atem an. Er nahm den ersten Brief heraus. Leider wurde er enttäuscht, denn es handelte sich um einen Liebesbrief von Grey aus dem Jahr 1988. Er sah die anderen Sachen durch, doch es waren entweder mehr Briefe von Grey oder Kinderfotos von Jake und Clementine.
    Außerdem fand er Marinas Heiratsurkunde und ein paar Hochzeitsaufnahmen. Er griff ganz tief in die Schachtel und angelte einen weiteren Brief heraus, von dem er hoffte, dass er endlich etwas enthüllte. Es handelte sich um eine ausgerissene Buchseite mit einem Gedicht; der Titel war »My Marine Marina«, datiert 1968, von John Edgerton. Beim Lesen bekam Rafa feuchte Augen. Es war, als hätte der Dichter sie mit diesen Versen gemeint.
    Ach, wehmütig Herz, das dem Meer geweiht,
    So rastlos jetzt und in alle Zeit.
    Was immer von deinen Träumen überdauert,
    Verzagt unter den Wellen lauert …
    Das Gedicht erzählte von Liebe, aber auch von Verlust. Rafa fragte sich, ob Marina den Dichter gekannt hatte und er es tatsächlich für sie schrieb.
    Plötzlich hörte er, wie die Haustür geöffnet wurde und wieder zufiel. Hastig packte er die Schachtel zurück in den Schrank und stellte die Schuhe wieder obendrauf. Dann eilte er aus dem Schlafzimmer. Als er zum Treppenabsatz kam, knarrten die Bodendielen laut. Jake hörte ihn und sah von der Diele nach oben. »Rafa! Was machst du hier?«, fragte er misstrauisch.
    »Ich bin auf der Suche nach Biscuit«, antwortete Rafa betont gelassen und schob die Hände in die Hosentaschen. »Manchmal schleicht er sich hier rein und legt sich auf das Bett von deinem Vater.«
    »Wirklich?« Jake wirkte nicht überzeugt.
    »Aber er ist nicht hier.«
    »Warum suchst du ihn?«
    »Ich möchte, dass meine Schüler ihn malen.«
    »Ach so?« Jake beobachtete ihn, als er die Treppe herunterkam. »Sag mal, war Harvey nicht neulich mit euch bei Edward und Anya Powell?«
    Rafa nickte. »Ja, wir haben ihren Taubenschlag gemalt.«
    »Hmm.«
    »Warum?«
    »Nur so.« Jake rieb sich grübelnd das Kinn.
    Er sah dem Künstler nach, der das Haus verließ und wieder hinüber zum Hotel ging. Auf einmal hatte er

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