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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Botschaft
    In einem Amerika, das sich auf allen Ebenen in die Schlacht gegen das Rauchen gestürzt hat, greift neuerdings die Mode des Zigarrenrauchens um sich. Erst vorgestern fand ich in einem Katalog für Geschenkartikel Dutzende neuer Accessoires für den Raucher verbotener Havannas, von einem Aschenbecher in passenden Dimensionen bis zu verschiedenen Arten von Futteralen und anderen Objekten von ausgesuchter Nutzlosigkeit, wie es sich für hochwertige Geschenke gehört.
    Jedes gesellschaftliche Phänomen kann interpretiert werden, aber es gibt einige - besonders typisch dafür sind die Moden -, die als ausdrückliche Botschaften gelesen werden müssen, denn in solchen Fällen tut einer etwas, um eine Absicht mitzuteilen, und das tut er durch ein symbolisches Verhalten.
    Wollte man das symbolische Verhalten ausschließen, blieben nur funktionale Erklärungen. Man probiere nur einmal zu behaupten, daß offensichtlich viele Leute noch gerne rauchen würden: Das stimmt sicher, aber es würde nicht erklären, warum die Gesellschaft sich tolerant gegenüber Zigarrenrauchern, nicht aber gegenüber den Zigarettenrauchern verhält. Die Zigarettenraucher drängen sich auf dem Bürgersteig vor den Eingängen öffentlicher Gebäude zusammen, vereint durch eine unerwartete Solidarität - du trittst hinaus und ziehst die Packung hervor, und sofort steht ein anderer Raucher vor dir und gibt dir komplizenhaft lächelnd Feuer -, die anderen sehen sie desinteressiert an, einige auch mit Unmut oder Verachtung, aber letzten Endes tun sie niemandem etwas Böses (obwohl in manchen Staaten davon die Rede ist, das Rauchen auch auf der Straße zu verbieten, zumindest tagsüber). Dagegen der Zigarrenraucher: Er zieht seine Trophäe nach dem Essen oder während einer Party ganz offen hervor, zumindest an Orten, wo er weiß, daß er toleriert wird, und sein Verhalten wird nicht als ungehörig oder störend empfunden. Mehr noch, wenn jemand eine Zigarette rauchen will, muß er warten, bis irgendwer eine Zigarre hervorzieht, und sich ihm dann gleichsam anschließen, nachdem er sich vergewissert hat, daß keiner der Anwesenden protestiert. Es genügt nicht zu sagen (wie manche es tun), daß die Zigarre weniger Schaden anrichte, da ihr Rauch nicht inhaliert werde, denn das ändert nichts am passiven Rauchen der anderen, und Zigarrenqualm verpestet die Luft noch mehr. Also was?
    Eine Erklärung, die mir überzeugend erscheint, ist folgende. Der Kampf gegen das Zigarettenrauchen hat begonnen (und wird seitens der Behörden fortgesetzt) als ein Kampf für die Gesundheit. In diesem Sinne ist die Zigarette zu einem Symbol des Todes geworden. Aber die Polemik gegen das Rauchen hat sich sehr schnell in den oberen Klassen eingebürgert. Man raucht nicht mehr in Luxusrestaurants, man raucht nur noch in schmuddeligen kleinen Bars, und als erste ganz aufgehört (jedenfalls in der Öffentlichkeit) haben die Banker und Bosse, die Professoren, die Leute mit hohem Einkommen. Wer noch raucht, sind die Schwarzen, die Frauen der Mittel- und Unterschichten, die Alten, die Obdachlosen.
    Daher ist der Unterschied immer mehr zu einem gesellschaftlichen geworden. Die Zigarette ist etwas für die Armen und jedenfalls für die Minderheiten. Mit der Zigarette ist dasselbe geschehen wie seinerzeit mit dem Kautabak. Das Priemkauen ist nicht deswegen aus der Mode gekommen, weil es schlecht für die Zähne ist, sondern weil es einen nach spuckendem Sabbergreis aussehen läßt und den Atem verpestet - wer könnte sich einen Herrn im Smoking bei einer Premiere in der Scala vorstellen, der einen Priem kaut? Man tut es einfach nicht, und damit basta.
    Die Zigarre dagegen hat keine proletarischen Konnotatio-nen (es sei denn, es handelt sich um unseren knorrigen alten toskanischen Stinkstumpen). Die Zigarre ist teuer, sie erfordert Zeit und Muße, sie verbindet sich in der populären Ikonographie mit dem großen Magnaten, dem Mann der Macht, man schenkt sie zur Geburt eines Sohnes. Man schnorrt sich keine Zigarre, wie man sich eine Zigarette schnorrt; wenn einen jemand um eine Zigarette bittet, gibt man sie ihm ohne großes Getue; es kann sogar vorkommen, daß man ihm gleich die ganze Schachtel läßt, weil man noch eine andere hat, aber dadurch erscheint man weder besonders großzügig noch besonders wohlhabend. Zieht dagegen jemand sein Etui hervor und schenkt uns vier teure Zigarren, dann kommt es uns vor, als hätten wir’s mit einem Potentaten aus anderen Zeiten zu tun,

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