Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß
versteht, scharfsinnige Bemerkungen über das zu machen, was für die anderen marginal ist, treibt sie mit psychologischen Tricks von perfider Raffiniertheit in die Enge und bringt sie schließlich zu Fall, indem er gerade ihren Dünkel ausnützt. Die Zuschauer genießen diesen Sieg des Pygmäen über die Elefanten und gehen zu Bett mit dem schönen Gefühl, daß einer, der genauso bescheiden und ehrlich wie sie ist, sie gerächt hat, indem er widerlich reiche, schöne und mächtige Leute bestraft.
Nicht so Derrick. Er hat es fast immer mit Leuten zu tun, die niedriger stehen und schlechter gekleidet sind als er, dazu noch psychisch labil und eingeschüchtert durch einen Vertreter des Gesetzes, wie es bei jedem guten Deutschen vorkommt. Seine Schuldigen sehen so unverschämt schuldig aus, daß sie gewöhnlich sogar von Harry erkannt werden (der offensichtlich ohne vorgängigen Intelligenztest in die bayerische Polizei aufgenommen worden ist), sie brechen fast sofort zusammen, es scheint, als ob sie geradezu danach lechzten. Wie kommt es dann, daß Derrick so gut gefällt?
In einem kürzlich erschienenen Sammelband mit dem
Titel »Die Leidenschaften im TV-Serial«* sind die in den Serien Beautiful , Twin Peaks und eben Derrick verwende-ten »Leidenschafts-Strategien« untersucht worden. Ich kann die Analyse des Derrick-Teils hier nicht im einzelnen wiedergeben, sie füllt etwa dreißig Seiten, aber sicher ist, daß sie Antworten auf die oben gestellten Fragen gibt.
Für die einzelnen Folgen werden nie außergewöhnliche Fälle gewählt, sondern Vorkommnisse von der Art, wie sie
* Le passioni nel serial TV , hrsg. v. Omar Calabrese, Nuova Eri, 1995.
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auch im Lokalteil der Zeitungen stehen und jedem von uns passieren könnten. Deswegen ist es von grundlegender Bedeutung, daß weder strahlende Helden noch Erzbösewichter in ihnen auftreten. Sowohl der Gesetzesbrecher wie der Ge-setzesvertreter sind stets von gegensätzlichen Leidenschaften zerrissen, von Verlangen nach Gerechtigkeit und nach persönlicher Rache, von Schuldgefühl und verständlicher Schwäche. Die Schauplätze dürfen nicht zu leicht wiederer-kennbar sein, damit möglichst viele Zuschauer sich darin wie zu Hause fühlen können. Hinzu kommt ein Element, das ich zunächst gar nicht bemerkt hatte: Wie es scheint, benutzen die Personen in jeder neuen Folge immer die neuesten Automodelle, so daß der Zuschauer stets ein Klima vertrauter Alltagsaktualität vorfindet (den alten Karren von Lieutenant Columbo kann sich Derrick nicht leisten).
Derrick findet die Wahrheit am Ende nicht deshalb heraus, weil er so verteufelt intelligent ist, sondern weil er Verständnis für seinen Gesprächspartner hat: Er mißtraut ihm nie völlig und nimmt seine Sorgen ernst – und man bedenke den Unterschied zu Columbo, der immer allen mißtraut! Zwar bedauert auch Columbo am Ende wie Derrick, daß er den Schuldigen ruiniert hat, aber Columbo bedauert es, weil ihm in diesem Kampf zweier Intelligenzen der Gegner – so groß die Unterschiede zwischen ihnen auch sind – im Grunde fast sympathisch geworden ist.
Derrick hingegen leidet am Ende, weil er den Schuldigen von Anfang an gemocht, ja wie ein Onkel geliebt hat.
Als Fazit heißt es im Schlußkapitel des erwähnten Sammelbandes, die Derrick-Serie sei ein »Vermittler zwischen Realität und Einbildung«, da sie »die erzählten Gefühle normalisiert und in ihren Zuschauern eine parallele Nor-malität heraufruft«. Sie sei »der Triumph der mediocritas , verstanden als ein ›In-der-Mitte-Stehen‹ und zu einem Wert geworden anstelle einer Anonymität«.
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Jetzt versteht man, warum die Serie einen so großen Erfolg hat: Sie ist die Quintessenz aller TV-Spektakel, auch derer, in denen reale Personen auftreten, die nur geliebt werden, wenn sie sich auf triumphale Weise als noch me-diokrer denn die mediokersten Zuschauer erweisen. Und es ist zwecklos, den Snob zu spielen: Derrick gibt allen ein gutes Gefühl, auch denen, die sich für überlegen halten, denn er läßt in jedem von uns die Mittelmäßigkeit wieder aufblühen, die wir glaubten verdrängt zu haben.
1995
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In welchem Sinne Fußball
eine sexuelle Perversion ist
In Argentinien zu sein, während dort gerade die Fußball-WM tobt, ist zweifellos eine Erfahrung. Besonders wenn Argentinien gewinnt. Zu Besuch wegen verschiedener Vorträge und Begegnungen, entdeckte ich eines Tages, daß alle meine Verpflichtungen gestrichen worden waren und ich einen
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