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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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uns verwundert, als neulich in einer TV-Diskussion über Korruption und Moral in der Politik am Anfang alle Anwesenden den Ex-Gesundheitsminister Francesco De Lorenzo im Gefängnis sehen wollten und am Ende dann viele ihre Meinung geändert hatten und ihn nach Hause schicken wollten.
    Dabei ist das ein ganz normales Phänomen: Wenn man unter Freunden diskutiert, kommt es vor, daß man zu Beginn des Abends eine bestimmte Meinung hat und zwei Stunden später zur entgegengesetzten tendiert, um dann am nächsten Morgen wieder zur eigenen Meinung zurückzukehren. Man kann uns am Mittwoch abend um neun Uhr fragen, ob wir einen bestimmten Politiker sympathisch finden, der gerade im Fernsehen interviewt worden ist, und wir können dazu beitragen, seinen Sympathiewert zu steigern; damit ist jedoch überhaupt nicht gesagt, daß wir, wenn wir einige Zeit später in der Wahlkabine sind, für ihn stimmen werden. Infolgedessen ist eine Umfrage, die uns sagt, welche Gefühle der Befragte im Moment der Befragung hat, von sehr geringer Aussagekraft.
    Skrupellos eingesetzt, werden Umfragen folglich zu simplen propagandistischen Waffen, deren wissenschaftlicher Wert nicht viel höher ist als die Behauptung, daß neun von zehn Stars die Seife X vorzögen. Und des skru-pellosen Gebrauchs von Umfragen als Propagandawaffen hat die Presse ja häufig Berlusconi und die Seinen bezich-tigt. Aber nun ist mir der amtliche Jahresbericht über die italienische Gesellschaft von 1994 in die Hände gefallen, und darin finde ich einige Überraschungen.
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    Es verwundert nicht, daß in den letzten zwei Jahren der Gesamtaufwand für politisch-elektorale und sonstige Meinungsumfragen von 2,54 auf 5,6 Milliarden gestiegen ist.
    Aber die unerwartete Neuigkeit ist, daß 73 Prozent dieser Umfragen nicht von politischen Gruppen in Auftrag gegeben wurden, sondern von der Presse, welche die Resultate dann zu 69,4 Prozent als Meldung auf der ersten Seite gebracht hat, anstelle von Nachrichten und Kommentaren.
    Gewiß könnte die Presse hier erwidern, sie habe die Umfragen ja gerade deshalb in Auftrag gegeben, damit sie ei-ne wissenschaftliche Alternative zu den als fragwürdig eingestuften Umfragen anbieten könne. Doch hier eine weitere Überraschung: Wie es scheint, haben 84,8 Prozent aller Umfragen – also auch ein sehr hoher Prozentsatz der von den Zeitungen selbst veranlaßten – keine Angaben über ihre Methoden gemacht (also über die Zahl der be-fragten Personen, die Techniken der Befragung usw.).
    Auch wer sich in diesen Dingen nicht besonders gut auskennt, wird begreifen, daß eine Umfrage, die ihre eigenen Kriterien nicht öffentlich macht, keinerlei Wert hat, beziehungsweise nur soviel wie eine erfundene Umfrage oder wie jener Werbespruch, demzufolge ein bestimmtes
    Waschmittel weißer als andere wäscht. Entweder man glaubt ihr alles aufs Wort, oder man glaubt ihr gar nichts.
    Einerseits überwiegt also immer mehr eine Methode der direkten Demokratie oder der Volksbefragung »in Echt-zeit«, die tendenziell an die Stelle der traditionellen Systeme zur Erzeugung und Überprüfung von Konsens tritt; andererseits garantiert dieses System keineswegs seine eigene Objektivität, sondern umgeht im Gegenteil eher skrupellos das Problem. Und schließlich enthüllen diese Arten von Umfrage nur, wie oben gesagt, vorübergehende und sehr labile Stimmungslagen, während wir von einer wissenschaftlichen Umfrage doch erwarten, daß sie, wenn 141
    sie gelingt, uns den Pulsschlag der öffentlichen Meinung auf längere Dauer angibt. Ähnlich jenem, den der Bürger, so hofft man, in der Wahlkabine zum Ausdruck bringt, nachdem er einen zumindest ungefähren Durchschnitts-wert seiner im Laufe eines Wahlkampfs empfundenen Ge-fühle ermittelt und eine nüchterne Abwägung des Für und Wider vorgenommen hat.
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    Sie haben richtig gelesen:
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    Es ist der Fälligkeitstag, die Redaktion des Espresso wartet auf meinen Streichholzbrief. Und ich habe nichts zu sagen. Oder besser, ich mag heute nichts sagen. Also: um den vorgesehenen Platz mit der Aussage zu füllen, daß ich nichts sagen möchte, werde ich mich mehr anstrengen müssen, als wenn ich ein beliebiges Thema behandeln würde, vielleicht angeregt durch irgendeine Agenturmel-dung. Aber es scheint mir geboten, etwas zum Lob der Sprachlosigkeit zu sagen.
    Ich weiß schon, man wird mich jetzt fragen, warum ich dann nicht einfach keinen Text schicke? Nun, weil ich ei-ne

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