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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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der von Pyramus und Thisbe, wir haben etwas von der Weisheit Solons assimiliert, wir haben in gewissen windigen Nächten auf Sankt Helena mitgebibbert, und wir wiederholen zusammen mit den Märchen, die unsere
    Großmütter uns erzählt haben, auch diejenigen, die Sche-herazade erzählt hat.
    Auf manche mag dies alles so wirken, als seien wir, kaum geboren, schon unerträglich alt. Noch hinfälliger ist jedoch der Analphabet (der echte oder der funktionale), der seit seiner Kindheit an Arteriosklerose leidet und sich nicht erinnern kann (weil er’s nie gewußt hat), was an den Iden des März geschehen ist. Natürlich könnten wir auch Erlogenes im Gedächtnis speichern, aber lesen hilft auch zu unterscheiden. Der Analphabet, der nichts vom began-genen Unrecht der anderen weiß, kennt auch die eigenen Rechte nicht.
    Das Buch ist eine Lebensversicherung, ein kleiner Vor-schuß auf Unsterblichkeit. Leider nach hinten gerichtet anstatt nach vorn. Aber man kann nicht alles haben.
    1991
    149
    Lob der Klassiker
    Es heißt, in dieser Zeit der Krise des Buches verkaufen sich die Klassiker gut. Und nicht nur die im billigen Ta-schenbuch, sondern auch die im Schuber. Und nicht nur die der ersten Garnitur wie Platon, sondern auch die der zweiten wie Cicero; und da sowohl Materialisten wie Epi-kur als auch Pantheisten wie Plotin gelesen werden, ist hier weder die Wiedergeburt der Rechten noch der Vor-marsch der Linken im Spiel. Sagen wir, die Verleger haben in richtigem Gespür für die Publikumsstimmung erkannt, daß in einer Zeit des Zerfalls und Umbruchs aller Werte die Leser nach etwas Gesichertem suchen. Warum geben die Klassiker Sicherheit? Weil ein Klassiker ein Autor ist, der besonders in Zeiten, als man noch mit der Hand abschrieb, viele dazu gebracht hat, ihn abzuschreiben, und dem es über die Jahrhunderte gelungen ist, die Trägheit der Zeit und die Sirenen des Vergessens zu besiegen. Ge-wiß haben sich auch Autoren gerettet, die ihr Pergament nicht wert waren, während andere, vielleicht allergrößte, zu ewigem Vergessen verdammt worden sind. Aber aufs Ganze gesehen hat die Gemeinschaft der Menschen mit gutem Sinn und Verstand reagiert, und es besteht große Wahrscheinlichkeit, daß ein Autor, der zum Klassiker geworden ist, uns noch etwas Gutes zu sagen hat.
    Ein zweiter Grund ist, daß wir in Krisenzeiten Gefahr laufen, nicht mehr zu wissen, wer wir sind. Ein Klassiker sagt uns aber nicht nur, wie man in einer fernen Zeit dachte, sondern läßt uns auch entdecken, daß und warum wir heute noch oft ganz ähnlich denken. Einen Klassiker zu lesen ist so, als psychoanalysierte man unsere gegenwärti-150
    ge Kultur, man findet Spuren, Erinnerungen, Grundmuster, Urszenen … Sieh da, ruft man aus, jetzt verstehe ich, warum ich so bin – oder warum mich jemand partout so haben will: Die Sache hat genau mit dem angefangen, was ich gerade lese! Und so entdeckt man auf einmal, daß wir im Grunde noch immer Aristoteliker oder Platoniker oder Augustinianer sind, nicht nur in der Art, wie wir unsere Erfahrung organisieren, sondern auch und sogar in der Art, wie wir manchmal dabei in die Irre gehen.
    Die Lektüre der Klassiker ist eine Reise zu den Wurzeln.
    Oft sucht man die Wurzeln nicht aus Sehnsucht nach etwas, das man gekannt hat, sondern in dem vagen Gefühl, daß man aus einem unbekannten Stamm hervorgegangen sein könnte. Der gebürtige Amerikaner, der unversehens das Bedürfnis nach einer Rückkehr (obwohl er noch niemals dort war) in das Land seiner Großeltern verspürt, macht eine Reise, zu der ihn eine virtuelle Sehnsucht treibt. Jeder Leser, der die Klassiker entdeckt, ist ein seit vielen Generationen naturalisierter Amerikaner, der das Bedürfnis verspürt, etwas über seine Vorfahren zu erkunden, um ihre Gegenwart in seinen Gedanken, Gesten und Gesichtszügen wiederzufinden.
    Die andere schöne Überraschung, die uns die Klassiker oft bereiten, ist die Erkenntnis, daß sie moderner waren als wir. Ich bin immer ganz bestürzt, wenn gewisse Denker in Übersee, die kulturell entwurzelt sind und deren Biblio-graphien nur Bücher aus dem letzten Jahrzehnt verzeichnen, eine neue Idee aufs Tapet bringen, sie womöglich schlecht entwickeln und gar nicht wissen, daß eine ähnliche Idee schon vor tausend Jahren viel besser entwickelt worden ist (oder sich schon vor tausend Jahren als uner-giebig erwiesen hat).
    Dieser Tage erhielt ich einen Band mit ausgewählten Schriften von Augustinus ( Il maestro e la parola ,

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