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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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die Rezension vergißt).
    Um den Lesern dieser Zeilen einmal vor Augen zu führen, wie sich das abspielt: stellen wir uns vor, in der Redaktion einer Tageszeitung trifft die Nachricht ein, daß Alessandro Manzoni soeben seinen Roman I Promessi Sposi veröffentlicht hat. Der Feuilletonchef eilt zum Chefredakteur: Das Konkurrenzblatt hat den Dichter Leopardi um erste Leseeindrücke gebeten, da wär’s doch ein toller Coup, den Professor De Sanctis um eine Kritik zu bitten.*
    Der Chefredakteur schnaubt: »Ach was, De Sanctis oder De Diabolis! Der Kerl bringt es fertig, uns zehn volle Seiten hinzuknallen, die kein Mensch lesen will, reinste akademische Fliegenbeinzählerei! Interviews brauchen wir, machen Sie ein Interview mit diesem Manzoni. Entlocken Sie ihm unerhörte Erklärungen! Und sehen Sie vor allem zu, daß er sagt, was die Leser von ihm erwarten: warum er schreibt, ob er meint, daß der Roman tot ist, und solche

    * Francesco De Sanctis (1817-1883), bedeutendster italienischer Literaturkritiker seiner Zeit, setzte sich besonders für Manzoni ein (A. d. Ü.).
    134
    Sachen! Irgendwas Fulminantes, nicht länger als eine Seite, das wär’s!«
    Hier folgt der Text des sensationellen Interviews.

    Signor Manzoni, können Sie uns Ihren Roman in zehn Worten zusammenfassen?
    Versuchen wir’s: Zwei lieben sich, wollen heiraten, erst scheint’s nicht zu gehen, dann doch …
    Das sind zwölf, aber egal, vielleicht kürze ich’s noch ein bißchen. Also eine Liebesgeschichte?
    Nicht ganz. Da ist auch die Vorsehung, da ist das Böse, da ist die Pest …
    Wieso die Pest und nicht zum Beispiel ein Infarkt?
    Bei einem Infarkt hätte eine Seite genügt …
    Sagen Sie uns, warum schreiben Sie?
    Was soll ich sonst tun? Meinen Sie, ich könnte als Ge-wichtheber auftreten?
    Gehen wir mehr in die Tiefe. Warum spielt Ihre Geschichte am Comer See und nicht zum Beispiel am Titica-casee?
    Wissen Sie, wir Künstler folgen den Impulsen des Her-zens, und das Herz hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt.
    Wunderbar, warten Sie, das muß ich mir notieren. Also: Das Herz läßt sich nichts befehlen …
    Nein, das Herz hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt.
    Genau, ich hab’s nur zusammengefaßt. Nun sagen Sie uns, wann denken Sie die Sachen, die Sie schreiben?
    Na ja, das hängt davon ab … Ich denke eigentlich immer. Denken heißt leben, wenn ich denke, fühle ich mich lebendig …
    Fantastisch! Könnten Sie das noch mal ganz knapp sagen?
    Ich denke, also bin ich.
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    Wahnsinn! Superoriginell! Aber Sie haben doch auch religiöse Hymnen geschrieben, über Weihnachten zum Beispiel … Wieso jetzt ein Roman über zwei Brautleute und nicht über Pfingsten?
    Über Pfingsten habe ich schon eine Hymne geschrieben.
    Richtig. Und schreiben Sie schon an einem neuen Roman?
    Ich habe doch gerade erst diesen beendet. Lassen Sie mich doch ein bißchen Atem holen!
    Sie spielen gern den Geheimniskrämer, was? Letzte Frage: Was erwarten Sie sich von diesem Roman?
    Na ja, daß er viele Leser findet, daß er gefällt …

    Der Chefredakteur liest das Interview: »Also das ist wirklich ein Knüller! Hauen Sie einen vier Spalten breiten Titel drüber, und heben Sie die pikantesten Einzelheiten hervor, besonders die letzte Erklärung: ›Manzoni gesteht: Schluß mit Pfingsten!‹ Dann hat er uns den Bestseller zu verdanken!«

    So ungefähr geht’s heute zu (und nicht nur bei uns in Italien). Weshalb es Leuten in meinem Beruf passieren kann, daß sie den Schreibtisch voller Faxe haben, in denen sie um ein Interview gebeten werden. Zum Glück fängt der Anrufbeantworter die krassesten Anrufer ab, die unsere knallhart auf den Punkt gebrachte Meinung über alle möglichen Geschehnisse in der großen weiten Welt hören wollen. Es stimmt zwar, daß ein verantwortlich denkender Mensch über alles, was geschieht, eine halbwegs klare Meinung hat und haben soll, aber eine Meinung zu haben heißt nicht unbedingt, eine originelle Meinung zu haben.
    Ich zum Beispiel bin der festen Meinung, daß es ungut ist, Kinder zu töten, aber ich finde es verfehlt, wenn mich jemand anruft, um von mir zu wissen, was ich über den Kin-136
    dermord von Bethlehem denke. Ich halte auch das Töten von Erwachsenen für ungut, aber wenn ich diese Präzisierung abgäbe, würde man mir unterstellen, ich hätte gesagt, um die Kinder brauche man sich nicht weiter zu sorgen.
    Nochmal zurück zu den Faxen. Sagen wir, auf dem
    Schreibtisch jedes schreibenden Menschen türmt sich jede

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