Des Abends eisige Stille
klein und nicht viel mehr als Haut und Knochen.
»Morgen, Simon. Haben Sie den Mörder schon?«
»Sie wurde ermordet?«
»Na ja, im Bett ist sie nicht gestorben. Nein, sie ist an einem Schlag auf den Kopf gestorben … Sehen Sie?«
Simon beugte sich hinunter.
»Sehen Sie … da? Und hier …«
»Womit wurde sie geschlagen?«
»Also, ich neige zu der Ansicht, dass es nichts in dem Sinne war, was Sie denken. Ich glaube, sie ist auf den Hinterkopf gefallen, vermutlich aus einiger Höhe, wenn auch nicht allzu hoch, und mit dem Schädel gegen etwas Hartes geprallt.«
»Oh.«
»In der Tat.«
»Demnach suchen wir nach einem Mörder oder auch nicht.«
»Sie könnte gestoßen worden sein, sie könnte ausgerutscht und gefallen sein … lässt sich unmöglich sagen.«
»Sonst noch was?«
»Gebrochener Arm und Ellbogen. Ist wahrscheinlich unglücklich gefallen. Ich würde sagen, rücklings nach unten. Sonst nichts. Alles normal.«
»Wurde sie sexuell missbraucht?«
»Schwer zu sagen. Nicht mit Gewalt. Ich hätte sie früher haben müssen. Wir haben Abstriche gemacht, aber die werden nichts ergeben.«
»Wenn sie durch einen Unfall starb …«
»Was machte sie dann in einem Erdgrab in der Gardale-Schlucht? Genau.«
Nimmo hob sehr sanft die Fingerknochen des Kindes hoch, einen nach dem anderen, untersuchte jeden und legte ihn wieder ab. Sein Gesichtsausdruck war aufmerksam und konzentriert.
»Uns liegt keine Vermisstenanzeige von einem Mädchen dieses Alters aus unserem Gebiet vor.«
»Dann ist sie wohl von außerhalb hergebracht worden.«
»Vielleicht. Es müsste jemand sein, der sich hier auskennt. Gardale ist auf den Karten verzeichnet, ist aber sonst für Leute von außerhalb kein allzu bekannter Ort.«
»Ach, ich weiß nicht – im Sommer gehen viele Leute da runter.«
»Und im Winter fast niemand, also muss derjenige gewusst haben, dass er nicht gestört und das Kind vielleicht nie gefunden werden würde.«
»Denken Sie laut, Simon?«
Serrailler schaute auf die Leiche, so entblößt unter dem grellen Licht. Er war den Tränen nahe, dachte an seine Nichte Hannah, ein Kind im gleichen Alter, wohlgerundet und überfließend vor Enthusiasmus und Energie – vor Leben.
»Benachrichtigen Sie mich, wenn Sie noch irgendwas anderes finden«, sagte er und wandte sich vom Obduktionstisch ab.
»Da kommt nichts mehr. Ich bin so gut wie fertig. Mir reicht als Todesursache ein Schädelbruch durch Sturz auf den Hinterkopf.«
»Das macht es nicht leichter.«
»Tut mir leid, nicht mein Problem«, meinte Nimmo aufgeräumt.
Simon fuhr in den vierten Stock des Krankenhauses und ging in die Cafeteria. Er war hungrig. Ein Obduktionssaal hatte sich noch nie auf seinen Appetit ausgewirkt. Vielleicht lag das an einem winzigen Gen, das er aus dieser langen Reihe von Ärzten geerbt hatte. Er holte sich Kaffee und ein Käsebrötchen. »Nicht mein Problem«, hatte der Pathologe gesagt, aber im Moment dachte Simon nicht an die kleine Leiche, die er gerade gesehen hatte, noch nicht mal an David Angus und eine mögliche Verbindung zwischen den beiden. Er dachte an Martha. Als er zum letzten Mal im Kreiskrankenhaus Bevham gewesen war, hatte er sie besucht, nach seiner Rückkehr aus Venedig. Sie hatte still und bleich dagelegen, angeschlossen an so viele Schläuche und Apparate. Er hatte sie gezeichnet. Erst am vergangenen Abend hatte er sich die Skizzen angeschaut, und für ihn waren sie Totenmasken, obwohl sie da noch nicht tot gewesen war. Seine Gefühle für sie waren jetzt eine verwirrende Mischung aus Trauer, einem gewissen Maß an Erleichterung, Enttäuschung, dass er nie wieder bei ihr sitzen und mit ihr reden würde – und etwas anderem. Tief unter allem nagte dieses Etwas an ihm, irgendein vager Zweifel, eine Unsicherheit oder Beklemmung. Er konnte es nicht definieren, nicht einordnen, aber es war da, wie ein schwaches Echo oder eine Frage, ein Stück von etwas Unerledigtem.
Jemand ließ einen Teller fallen, jemand anderer hatte einen Hustenanfall, und ihm wurde rasch ein Glas Wasser gegeben. Ein Rollstuhl quietschte auf dem Boden. Eine Klingel ertönte. Leben.
Simon trank seinen Kaffee aus und verließ die Cafeteria, um sich seiner nächsten Aufgabe zu widmen. Sorrel Drive. Irgendwo in den Tiefen dieses Gebäudes lag die Leiche von Marilyns Mann in einem der Schubfächer des Obduktionssaales. Irgendwo lag David Angus’ Leiche.
Sein Handy klingelte, als er über den Parkplatz ging.
»Chef?«
»Was ist
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