Des Abends eisige Stille
zaundürrer Mann von fast eins neunzig, mit einem Mund voll kleiner, spitzer Rattenzähne.
»Ich nehme an, das könnte euer Junge sein.«
»Hoffentlich nicht, aber es ist zu befürchten.«
Nimmo zog seine Stiefel hoch. »Gut, gehen wir.«
»Warten Sie, ich zieh mir auch noch rasch meine Stiefel an. Der Abhang wird höllisch glatt sein. Waren Sie schon mal da unten?«
»Nee.«
»Dann schlage ich vor, dass ich vorausgehe.«
»Ich brauch kein Kindermädchen.«
»Nur als Führer.«
Simon beugte sich hinab, schnürte seine Wanderstiefel zu. Sie hatten genug Profil, um ihn selbst an Berghängen nicht abrutschen zu lassen.
Der Abstieg war mühsam, und sie bewegten sich mit Vorsicht. Unten sah Simon ein bereits abgesperrtes kleines Gebiet und die Umrisse von zwei Streifenpolizisten.
»Alles in Ordnung?«
Der Pathologe grunzte, bemühte sich, das Gleichgewicht nicht zu verlieren und dabei seine Tasche festzuhalten.
Der Regen fiel sanft und gleichmäßig, vermischte Blätter und Schlamm zu einer glitschigen Schicht auf dem Asphalt. Simon sah nicht hoch, nur auf seine Füße, setzte achtsam seine Schritte. Aber er hatte das Bild der gesamten Schlucht vor Augen. Wenn es das Grab von David Angus war, wie war er hier heruntergebracht worden, von wem und wann? Simon wollte sich nicht vorstellen, wie das gewesen sein musste, falls der Junge noch gelebt hatte. Wenn er tot gewesen war, wie war er getötet worden und wie viel Zeit war vergangen, bis man ihn hergebracht hatte?
Als sie den Boden der Schlucht erreichten, kamen ihnen weitere Männer von der Spurensicherung nach, der Fotograf und Nathan Coates. Sie überquerten den angeschwollenen und rasch strömenden Fluss an der Stelle, wo er im Boden verschwand, und kletterten den kurzen Hang zu dem abgesperrten Gelände hinauf. Serraillers Haar war klatschnass, an seinem Anorak lief das Wasser hinunter.
»Chef.«
»Morgen.«
»Hier drüben.«
Sie duckten sich unter dem Absperrband hindurch. Eine kleine Stelle war aufgewühlt. Buschwerk und Steine waren vom strömenden Regen weggewaschen worden.
»Der Anrufer hat mehr oder weniger gesagt, wo es ist. Hat es sehr genau beschrieben. Wir brauchten kaum zu suchen. Es war sowieso schon halb freigelegt.«
Simon trat einen Schritt vor. Schaute hinunter. Ein Graben von etwa neunzig Zentimetern Tiefe war aus der Erde und dem Unterholz ausgehoben worden.
»Es war immer noch mit ein wenig Grünzeug und Mulch bedeckt. Aber bloß lose. Leicht zu finden.«
Der Boden war nur genug gesäubert worden, um das Grab aufzudecken. Darin lag eine Leiche in fortgeschrittenem Verwesungsstadium, mit hervortretenden Knochen. Es sah aus, als wäre sie nackt gewesen.
»Kommt mir so vor, als läge sie hier schon zu lange, um David Angus zu sein.«
»Dachten wir auch, Chef.«
»Sie gehört Ihnen, Jonathan.«
Der Pathologe hatte seine Tasche geöffnet und seinen weißen Anzug halb angezogen. Auf seinem Gesicht lag ein begieriger Blick, doch der DCI hatte das schon oft zuvor gesehen. Pathologen waren entweder weltverdrossen und anscheinend zu Tode gelangweilt, oder sie leckten sich erwartungsvoll die Lippen, und je übler die Leiche war, desto besser.
Nathan Coates trat zu ihnen.
»Chef? Was haben wir?« Sein eingedrücktes Gesicht war besorgt.
»Ich bezweifle, dass er es ist. Zu weit fortgeschrittene Verwesung. Aber ich weiß auch, welchen Einfluss Wetter haben kann – er wird uns gleich mehr erzählen.«
Sie sahen beide nach oben. Die Schlucht erhob sich steil zu beiden Seiten.
»Ich find’s schrecklich hier. Mein Dad hat uns mal hergebracht, als wir Kinder waren, hat uns zu Tode erschreckt. Er sagte, in den Höhlen versteckten sich Räuber und so, gewaltige Riesen mit roten Bärten und verschwitzten Achselhöhlen und Holzkeulen. Ich hab nie richtig aufgehört, ihm zu glauben, hatte jahrelang schlechte Träume.« Er blickte zu den Höhlen hinauf.
»Wie alt waren Sie denn da, um Himmels willen?«
»Vier, fünf? Verdammt beängstigend. Das war typisch für meinen Dad … Er fand es todkomisch.« Manchmal brach Nathans fröhliche Fassade auf, gab solche Kleinigkeiten über seine Kindheit preis.
»Simon!«
»Ich komme.«
Bitte, Gott, lass es nicht ihn sein. Lass es … Tja, was? Die Leiche eines anderen Kindes, hastig vergraben in der Schlucht?
»Was ist es?«
»Ein Kind. Zwischen acht und zehn Jahre alt. Todesursache wahrscheinlich Schädelbruch. Im Hinterkopf ist ein ziemlicher Riss.«
Großer Gott.
»Wie lange liegt es schon
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