Des Abends eisige Stille
gibt es eine Freundin oder Verwandte, die herkommen könnte?«
»Nein.«
»Niemand?«
»Ich will niemanden hier haben. Warum sollte jemand bei mir sein wollen?«
»Mir geht es eher um das, was Sie brauchen.«
»Oh, was das betrifft … Ich brauche meinen Mann. Ich brauche meinen Sohn. Ich brauche mein Leben, so wie es war, bevor der eine verschwand und der andere sich umbrachte. Ich brauche das, was niemand mir geben kann. Wie könnte jemand, der im Gästezimmer schläft, diese Bedürfnisse befriedigen?«
Darauf hatte Simon keine Antwort.
»Ich nehme nicht an, dass Sie irgendwelche Informationen für mich haben, oder?«
»Es tut mir leid …«
»Tja, sehen Sie.«
Sie ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. Simon schob ihr den Kaffeebecher hin. Sie war über den Fund der Mädchenleiche in der Gardale-Schlucht informiert worden, Kate Marshall war extra deswegen zu ihr gekommen. Kate hatte berichtet, dass Marilyn die Nachricht unbewegt aufgenommen hatte, als könnte das nichts mit ihr zu tun haben. »Sie hat gefragt, warum ich ihr das erzähle. Es war nicht Davids Leiche, also bedeutete es ihr nichts. Und ich hatte das Gefühl, Chef, dass sie genauso reagiert hätte, wenn es David gewesen wäre. Sie ist wie jemand in Trance.«
Simon blieb, bis er seinen Kaffee ausgetrunken hatte. Ihm fiel nichts mehr zu sagen ein, und er spürte, dass Marilyn es auch nicht aufgenommen hätte. Das Haus bedrückte ihn. Sie schien kaum wahrzunehmen, dass er ging, saß am Küchentisch, den Kaffee unberührt vor sich.
Vom Auto aus rief er im Revier an. Kate Marshall war nicht zu erreichen, aber Sally Cairns hatte Dienst. Sie war genau die Richtige.
»Ich mache mir Sorgen um Mrs. Angus.«
»Sie will keine Verbindungsbeamtin, darin war sie eisern. Wir können sie nicht dazu zwingen, wie Sie wissen.«
»Ich weiß. Aber ich bin beunruhigt, weil sie mit ihrer Tochter ganz allein ist. Sie ist nicht in der Verfassung, sich um das Mädchen zu kümmern.«
»Ich könnte jemanden vom Sozialen Dienst bitten, bei ihnen vorbeizuschauen. Das Jugendamt wär ein bisschen zu heftig, finden Sie nicht auch?«
»Ja. Ich will sie nicht beängstigen oder noch mehr beunruhigen. Sie steht bloß unter Schock, ist nicht unzurechnungsfähig, und Lucy ist zwölf, kein Kleinkind. Aber der Sorrel Drive ist nicht sehr nachbarschaftlich. Zu verdammt schick – Anwälte und so.«
»Das Problem ist nur, dass wir ziemlich überlastet sind. Auf der Umgehungsstraße gibt es einen riesigen Stau – zwei Busse sind ineinandergerast, bisher sieben Tote. Der Fahrer des einen war betrunken, hat es geschafft, rauszukommen und abzuhauen, und ist noch nicht aufgegriffen worden. Außerdem gab es eine Messerstecherei in der Unterführung zur Eric Anderson … schon wieder Drogenhandel, und irgendeiner der Lehrer hat versucht, die Sache selbst zu regeln.«
Simon stöhnte. Er wusste, wie es war, wenn bei Schichtbeginn alles auf einmal kam. »Ist das alles?«
»Nein, ein junger Mann wurde in einem Graben gefunden. Übel zusammengeschlagen. Jemand, den Sie neulich für ein Verhör hier hatten.«
Andy Gunton. »Wer hat das übernommen?«
»Nathan ist ins Krankenhaus gefahren.«
»Gut. Danke trotzdem, Sally.«
»Falls ich noch jemanden hier hätte, könnten Sie ihn haben – doch wenn ich es recht bedenke, könnte ich selbst noch einen brauchen.«
Simon lächelte. Inspector Sally Cairns wog gute achtzig Kilo. Ihre Standpauken, die den abgebrühtesten Polizisten in ein zitterndes Häufchen verwandeln konnten, waren der Stoff von Legenden.
Simon wendete und fuhr über Umwege zu Cats Dorf, geriet aber trotzdem in die von der Massenkarambolage verursachten Staus, die sich nur langsam auflösten.
Es war nach drei, als er das Bauernhaus erreichte und es durch die Hintertür betrat. Die Küche war leer und still. Mephisto saß in dem Flecken Sonnenlicht, der auf die Fensterbank fiel.
Serrailler machte sich ein Sandwich, einen Becher Tee und ließ sich auf das Sofa sinken. Sofort fielen die Ereignisse des Morgens von ihm ab, und die Friedlichkeit und Wärme der Küche, die Atmosphäre des ganzen Hauses, versetzten ihn in einen Zustand tiefer Entspannung. Eine halbe Stunde lang würde er den Angus-Fall vergessen, die Kinderleiche aus der Schlucht …
Diana fiel ihm ein, aber er schob den Gedanken an sie sofort wieder von sich. Er würde sie nicht hier hereinlassen oder ihr erlauben, ihn wütend zu machen. Sie gehörte nicht zu ihm, und er würde sie aus
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